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Kolumne der Redaktion

07.12.2016

Emil Manser (1951 bis 2004): «Wer mich kennt, liebt mich»

Im Historischen Museum Luzern ist ab Freitag (9. Dezember) eine Ausstellung über Emil Manser zu sehen. Darüber informierte heute Mittwoch deren Kurator Christoph Lichtin. Hier folgt ein Text von ihm über Emil Manser. Und rechts sind Plakate von Emil Manser zu sehen, wie sie auch die Ausstellung zeigt.


Christoph Lichtin, Direktor des Historischen Museums, ist Emil Manser nie persönlich begegnet. Er hat sein Leben, seine Werke und sein Wirken jedoch minutiös recherchiert und präsentiert eine ebenso gelungene wie eindrückliche Hommage an das Luzerner Stadtoriginal, das sich am 3. August 2004 vom Reusssteg aus in den Tod gestürzt hat. Er wird mitunter als «Strassenphilosoph» bezeichnet, was durchaus als Kompliment gemeint ist.

Im Bild: Christoph Lichtin bei der heutigen Präsentation der Ausstellung vor den Medien. Im Hintergrund: Requisiten, wie sie Emil getragen (etwa den schwarzen Kittel mit den weissen Worten) und auf der Strasse präsentiert hatte.

Bild: Herbert Fischer

Die Fortsetzung des Dialogs befindet sich weder auf der Rückseite noch auf einer andern Plakattafel, jedoch auf einem Zettel im Nachlass. Er macht sich am Ende des Dialogs in diesem fiktiven Arztgespräch über die kleinen Unterschiede lustig. Im erwähnten Manuskript endet der letzte Satz: «Wenn "Eue" stoht und "Miine" lampet send beidi glich gross.»

Eines der vielen Werbeplakate in eigener Sache, hier für seine Postkarten. Eine Serie von Postkarten zeigt Emil Manser auf dem Dach seiner Wohnung mit verschiedenen Plakaten, fotografiert von einer Profifotografin.

...

Fotografien von Pippi Langstrumpf tauchen im Zusammenhang mit der Kinderpartei mehrmals auf. Astrid Lindgrens Romanfigur kann mit ihrer Freiheitsliebe als Vorbild und ideale Repräsentantin für Mansers Anliegen dienen. Das Plakat zeigt Manser mit seinem berühmten Adventskranz als Kopfbedeckung.

Marcel Schöngarth (1946 bis 2012) alias «Radio Müüsli» war ein «Berufskollege» Emil Mansers. «Radio Müüsli» führte in einem Kinderwagen einen Kassettenrecorder mit, aus dem er ein selbst zusammengestelltes Radioprogramm erschallen liess. Dazu verkaufte er Süssigkeiten.

Marianne Ochsenbein leitete das 1988 gegründete Eidgenössische Büro für Gleichstellung im Departement des Innern während der Amtszeit von Bundesrätin Ruth Dreifuss (1993 bis 2002). Emil Manser will sich dem Diktat der Frauen nicht unterwerfen.

Das Plakat enthält einen typischen Satz mit falscher Schreibweise im ersten Wort. Manser parodiert hier den «Dummen». Klug, schön und reich zu sein ist angesagt. Für andere hat es keinen Platz.

Emil Manser war sich seiner Rolle als Aussenseiter, Querdenker und Spinner, der das gesellschaftliche Leben aufmischen will, bewusst. 1996 fanden in Luzern Stadtratswahlen statt. Nach dem Rücktritt des Stadtpräsidenten Franz Kurzmeyer war auch ein neuer «Stapi» zu wählen.

«Künstler» ist eine der Rollen, in denen sich Emil Manser sieht. Die anderen sind Politiker, Unternehmer, Philosoph, aber auch weibliche Rollen sind möglich, zum Beispiel Fräulein Philosophin Emil Manser.

Alle Legenden stammen von Christoph Lichtin.

Emil Manser wird am 20. November 1951 im appenzellischen Meistersrüte als viertes von sechs Kindern geboren. Seine Eltern Marie und Emil führen einen Bauernhof. Nach der Primarschule in der Wohngemeinde und der Sekundarschule in Appenzell beginnt er eine Buchdruckerlehre, die er 1971 abschliesst. Vom Militärdienst wird er suspendiert. Vorerst arbeitet er in St. Gallen und Flawil als Buchdrucker, gibt aber den Beruf auf und arbeitet auf dem Bau als Maurer, später als Maler. 1975 zieht er nach Luzern, wo er als selbstständiger Maler arbeitet. Seine damalige Partnerin arbeitet im Geschäft mit, zusammen wohnen sie vorübergehend in Emmenbrücke. Als Unternehmer ist Emil Manser jedoch ungeeignet. Er hat zunehmend wirtschaftliche Schwierigkeiten.

1982 wird er in Asien aufgegriffen und in eine psychiatrische Klinik in die Schweiz überführt. Die Wohngemeinde Luzern stellt ihn gemäss ZGB Art. 369 unter Vormundschaft.

Sein Wohnort ist vorerst das liberale Männerwohnheim an der Voltastrasse 14, später bezieht er eine eigene Wohnung im Neustadtquartier. Immer wieder sind auch mehrmonatige Klinikaufenthalte in St. Urban nötig, wo ihm Neuroleptika verabreicht werden. Emil Manser zieht es aber weiterhin in die Ferne. So hat sein amtlich eingesetzter Vormund auch einmal eine Rückführung aus Tokio zu organisieren. 

Neben der vormundschaftlichen Unterstützung und einem gelegentlichen Zustupf durch die Familie versucht Emil Manser, mit verschiedenen Tätigkeiten ein Auskommen zu finden. Er richtet eine Sammelstelle für Trockenbrot für Tiere ein oder beschafft sich das Recht an der Nutzung einer Eisenbahnböschung für seine Hühnerhaltung. Gelegentlich arbeitet er stundenweise in einem Malergeschäft. Sein Alkoholkonsum verunmöglicht ein regelmässiges Einkommen. 

In der Öffentlichkeit fällt er ab Mitte der 1980er-Jahre mit eigenartigen Stellen- und Partnerschaftsinseraten im Luzerner Anzeiger auf. Ab Ende des Jahrzehnts ist er bis zu seinem freiwilligen Tod am 3. August 2004 an diversen bevorzugten Plätzen mit selbst verfertigten, grossformatigen Plakaten anzutreffen.

Rund 15 Jahre prägt er mit seiner Präsenz das Stadtbild Luzerns. Während er einigen Mitbürgern mit seiner direkten Art auf die Nerven geht, erfährt er von anderen viel Sympathie. Von 1996 an unterstützt ihn seine Lebenspartnerin Anita Bucher. Emil Manser arbeitet zunehmend mit seiner Person; er ist sich der öffentlichen Wirkung seiner Auftritte bewusst. Er tritt in verschiedenen Outfits in Erscheinung: geschminkt wie Charles Chaplin, im Militärmantel und mit Adventskranz bekrönt, mit einem Fliegenpilz-Perret, das er selbst bemalt hat, im Malerkittel, mit Puppen im Arm und für seine Kinderpartei werbend. Er entwickelt eine Leidenschaft in der künstlerischen Umsetzung seiner Textplakate, die er auch als Postkarten vertreibt. 

Das Texten fällt ihm nicht leicht. Umso sorgsamer geht er mit einmal erstellten Tafeln um. Nach seinem Tod sind rund 200 Plakate, fast alle doppelseitig bearbeitet, erhalten geblieben. Die letzten Worte, die er seinen Mitbürgern hinterliess, lauteten: «Krebs! (wählte Abkürzung in Himmel)». Mit dem Sprung in die Reuss als letztem Akt erinnert er an einen berühmten Vorgänger aus der Reihe der Stadtoriginale, an Dällebach Kari aus Bern. 

Die Verzweiflung und vor allem die Angst, sich ins Spital bzw. in die erneute Obhut von Ärzten begeben zu müssen, waren wohl grösser als die Angst vor der Krankheit selbst. Emil Manser litt gar nicht an Krebs, sondern an gesundheitlichen Komplikationen, die mit einem einfachen Eingriff durchaus hätten behoben werden können.

Seine Plakate zeugen von einer grossen Originalität. Sie haben Sprachwitz, sind plakativ im eigentlichen Wortsinn.

Bestimmte Themen kommen immer wieder vor. Neben Tagesaktualitäten, gesellschaftskritischen Kommentaren und Sinnsprüchen zielen seine Texte auf die direkte Kommunikation mit den Mitmenschen. Dabei reflektiert Manser durchaus doppelbödig und mehrschichtig seine Rolle in der Öffentlichkeit, als Mann, potenzieller Liebhaber, Narr oder Kind Gebliebener.

Kinder und Narren sagen die Wahrheit. So setzen einige Tafeln mit dem Wortlaut ein: «Ein offenes Wort: …». Emil Manser richtet sich in seinen Texten in einem mündlichen Stil an die Mitbürger, als einer, der seine Meinung kundtun will, der Toleranz einfordert, sich gegen Machtgefälle wehrt und gesellschaftliche Unterschiede kritisiert. Eine Reihe von Plakaten thematisiert den Sachverhalt, dass er eben Geld braucht. Wie ein Werber bringt er dabei Argumente ins Spiel, zum Beispiel seine Meerschweinchen, obwohl er gar nie solche Tiere hatte. Man muss den Leuten einen Grund liefern, um ihnen einen «Batzen» abnehmen zu können. Über Institutionen und ihre Vertreter (Kirche, Schule, Polizei, Politik) macht er sich lustig. Macht und Freiheit sind seine Kernthemen, da ist er Spezialist und hat einschlägige Erfahrungen: Kinder sollen nicht indoktriniert, Menschen nicht entmündigt werden. 

Mitten unter den Leuten sitzend, trieb Emil Manser das Verhältnis der Menschen zueinander um, er hielt ihnen den Spiegel vor und seine Präsenz wurde als Bereicherung oder als Stolperstein im Alltag empfunden. Seine abgründigen Lebensweisheiten und Sprüche faszinieren noch heute, sogar Menschen, die Emil Manser gar nie erlebt haben.

Christoph Lichtin, Kurator der Ausstellung, Leiter kantonale Museen, Direktor Historisches Museum, Luzern

Die Ausstellung im Historischen Museum ist geöffnet von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17h. Montag geschlossen, ausser an Feiertagen. Geschlossen zudem an folgenden Tagen: 24. und 25. Dezember 2016,
1. Januar 2017, 23. Februar 2017 und 28. Februar 2017. Die Ausstellung dauert bis 17. April 2017.

 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/