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Kolumne der Redaktion

09.01.2016

«Dem Grossraum Luzern drohen Dauerstaus»

Der Luzerner Thomas Bolli leitet die Kommunikation der «Alpen-Initiative» und ist mitverantwortlich für die Kommunikation beim Verein «Nein zur 2. Gotthardröhre», der die Gegenkampagne zum zweiten Gotthardstrassentunnel anführt. Er sprach mit lu-wahlen.ch über die Gründe dieses Neins, die Rechtmässigkeit dieses Projekts und die Auswirkungen einer weiteren Röhre auf das Verkehrsaufkommen, auch in Luzern.


Thomas Bolli war bis 2008 Innerschweizer Korrespondent des «Tagesanzeigers» und wechselte nachher zur «Alpen-Initiative» nach Altdorf, wo er seither die Kommunikation leitet. Er lebt in Buchrain.

Herbert Fischer: Für einen Aussenstehenden ist eigentlich klar: der Gotthard-Strassentunnel ist 35-jährig und muss saniert werden. Darum ist auch einleuchtend, dass es einen zweiten Tunnel braucht. Wo also liegt das Problem?

Thomas Bolli: Das Problem liegt nicht dort, wo Sie vermuten. Denn das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat den baulichen Zustand des Strassentunnels immer wieder anders beurteilt. Vor der Debatte im Parlament hiess es, der Tunnel müsse zwischen 2020 und 2025 umfassend saniert werden, sonst sei er nicht mehr sicher zu betreiben. Inzwischen hat das gleiche Bundesamt eine externe Studie bei der renommierten Baufirma Ernst Basler + Partner bestellt. Sie kommt zum Schluss, dass der Betrieb ohne grössere Sanierungsarbeiten bis 2035 problemlos sichergestellt werden kann. Heikle Bauteile wie die Decke liessen sich im Zug der ohnehin laufend stattfindenden Renovationsarbeiten gut instand halten und zwar während der gewohnten jährlichen Sperrnächte.

Das heisst: Heute stellt sich erstens die Frage, warum Bundesrat und Parlament in dieser Frage derart auf die Zeit gedrängt haben, wo doch der Tunnel in einem guten Zustand ist und weitere 20 Jahre ohne grössere Sanierungsarbeiten betrieben werden kann.

Zweitens stellt sich ganz ernsthaft die Frage, ob der Tunnel überhaupt so umfassend saniert werden muss. Klare Antworten sind vom Bund nicht zu erhalten. Es geht ja nur darum, den Tunnel zu sanieren, nicht darum, ihn zu vergolden.

Klar ist: Es braucht in keinem  Fall eine zweite Röhre. Der Strassenverkehr, sollte der Tunnel überhaupt je gesperrt werden müssen, wird jederzeit gleichwohl rollen. Es ist seit Anfang geplant, mittels eines Verlads von Autos und Lastwagen die Verbindung ins Tessin zu gewährleisten. Es ist daher reine Polemik, wenn davon geredet wird, das Tessin werde abgeschnitten, das ist unter keinem Titel wahr. 

Zudem wird der Gotthard-Basistunnel, immerhin der längste Tunnel der Welt, im Sommer 2016 eingeweiht. Er bietet enorme Kapazitäten für den Personen- und den Güterverkehr. Ab Juni 2016 werden also insgesamt vier Löcher durch diesen Berg dem Verkehr zur Verfügung stehen.

Das reicht bei weitem, um die durchschnittlich 17 000 Fahrzeuge pro Tag und die 9000 Zugspassagiere pro Tag durch den Gotthard zu bringen.

Man sagt ja auch, der jetzige Tunnel sei ein Sicherheitsrisiko, deshalb brauche es eine 2. Röhre. 

Thomas Bolli: Das mag auf den ersten Blick einleuchten. Und es ist auch verständlich, dass es einem in einem Tunnel nicht gleich wohl ist wie auf offener Strecke. Aber auf den zweiten Blick erweist sich auch dieses Argument als falsch. Zwei Gründe: Wenn wegen der 2. Röhre der Verkehr auch nur um drei Prozent zunimmt, so ist zwar das Risiko für einen Unfall auf den 17-Tunnelkilometern kleiner als heute, aber das Risiko, auf der Autobahn zu verunfallen, nimmt auf den anderen 300 Kilometern der Strecke Basel-Chiasso zu. Das sagt die unverdächtige Beratungsstelle für Unfallverhütung, die bfu. Die weitaus grösste Gefahr für schwere Unfälle stellen zudem die Lastwagen dar. Also muss die Schweiz nicht die Strassenkapazitäten am Gotthard für die Lastwagen ausbauen, sondern die Gütertransporte auf die Schiene bringen. Über die Hälfte aller Lastwagentransporte durch den Gotthard sind reine Transitfahrten. Für die müssen wir keine 2. Röhre bauen. Zudem sind es nicht die Autofahrenden, die heute am gefährdetsten sind auf den Strassen, sondern die Velofahrer und die betagten Fussgängerinnen und Fussgänger. Wer wirklich mehr Sicherheit auf den Strassen will, muss sich für beleuchtete Fussgängerstreifen, Velowege und andere Massnahmen einsetzen, welche die Schwächsten im Verkehr schützen. Das verhindert ein Vielfaches an Unfällen.

Es gibt mehrere Beschlüsse des Souveräns, die den Bau eines zweiten Tunnels – eigentlich – verunmöglichen sollten. 

Thomas Bolli: Sowohl die Bundesverfassung wie auch das entsprechende Gesetz sagen klar, was der Bundesrat machen sollte und zwar seit 1994: die Zahl der Lastwagenfahrten durch die Alpen reduzieren und zwar auf 650 000 pro Jahr. Heute haben wir immer noch über eine Million.

Das entsprechende Gesetz wird also seit Jahren missachtet. Neuerdings spricht Frau Bundesrätin Doris Leuthard sogar davon, dass dieses Ziel gar nicht mehr erreicht werden soll. Das heisst im Klartext nichts anderes, als dass sie den Auftrag, den ihr das Volk gegeben hat, nicht erfüllen will. Zudem steht in der Verfassung klipp und klar, dass die Kapazität der Transitstrassen durch die Alpen nicht erhöht werden darf. Die Rechnung ist einfach: eine Röhre (zwei Spuren) plus eine zweite Röhre (zwei Spuren) ergibt zwei Röhren (vier Spuren). 

Das begreift jedes Kind. Und nun soll das Volk über ein Gesetz abstimmen, das gewährleisten soll, dass immer nur zwei der vier Spuren genutzt werden. Eine nette Idee, aber politisch unrealistisch und demokratiepolitisch höchst zweifelhaft. Das bestätigen renommierte Juristen. Und selbst das Bundesamt für Justiz schlug eine Verfassungsänderung vor, um eine zweite Röhre zu ermöglichen. Das jedoch wollte der Bundesrat nicht. 

Schauen Sie: Die Ausgangslage für eine Abstimmung über den Verfassungsartikel, der den Ausbau der Transitstrassen durch die Alpen verbietet, ist doch ganz anders, wenn die 2. Röhre schon gebaut und bezahlt ist. Die jetzige Vorlage ist Teil einer Salamitaktik, Scheibchen um Scheibchen wird abgeschnitten.

Nun kommt diese Abstimmung ja dank eines Referendums zustande. Warum kritisieren Sie das Vorgehen des Bundesrats?

Thomas Bolli: Man kann selbstverständlich jederzeit verlangen, dass die Verfassung geändert wird, das gehört zu einer Demokratie. Aber es ist äusserst fragwürdig, den Verfassungsartikel ausser Kraft zu setzen und die Ausgangslage fundamental zu ändern – und erst dann darüber abzustimmen,wenn die Fakten längst geschaffen  sind und das Geld für die Röhre ausgegeben ist. Das in der Verfassung verankerte garantierte Verbot des Kapazitätsausbaus der Transitstrassen mit einem Gesetz sichern zu wollen, ist absurd. Den vierspurigen Betrieb verhindern kann nur der Fels, nicht ein Gesetz. Deshalb lehnen wir die Vorlage, welche am 28. Februar zur Abstimmung kommt, so vehement ab. 

Die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) wird am Schluss rund 25 Milliarden Franken kosten. Die Gegner einer zweiten Röhre befürchten, ihre Wirtschaftlichkeit würde gefährdet, falls ein zweiter Gotthard-Strassentunnel gebaut würde.

Thomas Bolli: Das lässt sich einfach erklären. Man baut einen Tunnel, damit die Güter auf die Schiene kommen. Bevor nun aber die NEAT Mitte 2016 eröffnet wird, sagt der Bund, wir bauen eine zweite Strassenröhre, bauen also die Kapazität auf der Strasse aus.

Welcher Unternehmer investiert auf diese Weise, indem er sein eigenes Projekt selber konkurrenziert? Keiner macht so was. Schliesslich ist doch die zweite Röhre einfach der neue Umfahrungstunnel der NEAT, damit die Güter ganz sicher nicht auf die Schiene kommen.

Es ist eine ganz einfache Rechnung: Mit der zweiten Röhre fahren mehr Leute mit dem Auto statt mit der Bahn in den Süden. Wir haben das durch Interface ausrechnen lassen, eine unabhängige Luzerner Firma für Politikstudien. Sie ist auf enorme Summen gekommen, die den SBB dadurch entgehen würden, wenn die Leute wieder vermehrt mit dem Auto durch die Alpen reisen. Gemäss der Interface-Studie betragen die Verluste der SBB je nach Szenario 53,7 bis 161,2 Millionen Franken und das pro Jahr! Schon der jetzige Strassentunnel hatte enorme Auswirkungen auf die SBB. Fuhren vor 1980 noch 20 000 Passagiere mit dem Zug durch den Gotthard, so sind es heute noch 9000. Und das in einer Zeit, in der die Frequenzen auf den Strecken im Mittelland extrem zugelegt haben. Die Strassenröhre hat den SBB also deutlich geschadet. Warum sollte das bei der 2. Strassenröhre anders sein? 

Und nochmals: die NEAT ist gebaut worden, um den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern. Eine zweite Gotthardröhre untergräbt dieses Ziel.

Vor 1980 wurden über 90 Prozent der Güter am Gotthard mit der Bahn transportiert, heute sind es noch 68 Prozent. Wird eine 2. Strassenröhre gebaut, werden die mit der Öffnung des Basistunnels zurückerkämpften Markanteile der Schiene wieder dahinschmelzen.

Mit dem Gotthard-Basistunnel wird das Tessin im übrigen so gut mit der Deutschschweiz verbunden sein wie noch nie in seiner Geschichte.

Nun war aber zu lesen, dass sich ausgerechnet die SBB für die zweite Röhre ausspricht.

Thomas Bolli: Überraschend war diese Stellungnahme, weil die wirtschaftlichen Interessen der SBB gegen oder zumindest nicht für eine zweite Röhre sprechen: Diese hätte keinen Nutzen für die SBB, und ein allfälliger späterer vierspuriger Tunnelbetrieb würde zu Einnahmeeinbussen beim Personen- und beim Güterverkehr führen. Im übrigen haben die SBB schon in der Vernehmlassung geschrieben, dass sie eine 2. Röhre ohne Kapazitätserweiterung nicht stört, aber dass sie gegen eine vierspurige Strasse durch den Gotthard sind. Ich glaube nicht, dass bei den SBB jemand ernsthaft daran glaubt, dass von vier Spuren dauerhaft nur zwei genutzt werden. 

Ist der Eindruck richtig, dass das Projekt eines zweiten Strassentunnels im Bundesrat erst ein Thema geworden ist, nachdem Verkehrsminister Moritz Leuenberger (SP) zurückgetreten und Doris Leuthard (CVP) seine Nachfolgerin geworden ist?

Thomas Bolli: Das ist eindeutig so. Zur Zeit Leuenbergers sagte das Bundesamt für Strassen (Astra): «Es gibt keinen zweiten Strassentunnel, den braucht es nicht». Es gibt ein Zitat von Rudolf Dieterle, seinerzeit Direktor des Astra: «Man baut auch nicht ein zweites Haus, nur weil man Weihnachten seine Gäste unterbringen will.» Und das Credo war: Die wahren Verkehrsprobleme haben wir in den Agglomerationen und nicht am Gotthard. Und so ist es bis heute. Täglich staut sich der Verkehr in den Agglomerationen von Genf bis St. Gallen und von Basel bis Chiasso.  

Und wenn Bundesrat Moritz Leuenberger heute Untätigkeit vorgeworfen wird – er berief sich auf die Volksentscheide von 1994 und 2004. Beide Male hatte eine Mehrheit der Stimmberechtigen die 2. Röhre abgelehnt. Leuenberger hat also nur den Volkswillen respektiert!

Wenn dies geändert werden soll, dann müssen diese Beschlüsse rückgängig gemacht werden, vor allem der Auftrag in der Verfassung, der Alpenschutzartikel aus dem Jahr 1994. Eine Verfassungsänderung aber ist nur mit einer Mehrheit von Volk und Ständen möglich und vor einer solchen Abstimmung haben sich die Tunnelbefürworter ganz offensichtlich gescheut. Unter dem Vorwand der Sanierung des bestehenden Tunnels umgeht man eine solche Abstimmung. Tessiner Wortführer einer 2. Röhre haben ja sogar verlangt, dass die Schweiz die 2. Röhre baut, ohne das Stimmvolk zu befragen. Das immerhin hat Doris Leuthard nicht zugelassen.

Wie beurteilen Sie die Stimmung im Urnerland gegenüber diesem Projekt?

Thomas Bolli: In Uri ist sie wahrscheinlich am besten fassbar. Die Urnerinnen und Urner haben 2011 über eine Standesinitiative für eine zweite Röhre abgestimmt, die genau das gleiche forderte wie jetzt der Bundesrat. Die Vorlage wurde mit 57 Prozent abgelehnt. Ein gleichzeitig vorgelegter Vorschlag der Regierung, die zweite Röhre zu bauen, aber die bereits vorhandene nicht zu sanieren, ist mit 67 Prozent abgelehnt worden. Der Kanton Uri ist also klar gegen die zweite Röhre. 

Wie beurteilen Sie die Stimmung im Tessin?

Thomas Bolli: Die geplante Standesinitiative für eine zweite Röhre kam im Tessin nie zustande. Die Bürger haben sich seit 2004 nie dazu äussern können. Damals sagten 55,7 Prozent der Bevölkerung Nein zur Vorlage Avanti, die unter anderem eine 2. Gotthardröhre verlangt hatte. Heute stellen wir fest, dass sich beispielsweise der Gemeindepräsident von Chiasso (FDP) und der Gemeindepräsident von Mendrisio (CVP) heftig gegen die zweite Röhre wehren: Das  Sottoceneri , also der südlichste Teil des Tessins, leidet unter massiven Verkehrsproblemen, insbesondere zwischen Lugano und Chiasso. Das hat einerseits mit den Grenzgängern zu tun, aber ebenso mit dem Lastwagentransitverkehr.

Im Tessin werden überdies die schlechtesten Luft-Werte der Schweiz gemessen und das seit Jahren. Es gibt im Tessin überdurchschnittliche viele Lungen-Tumore, Asthma-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Probleme, Atemwegserkrankungen bei Kindern und Betagten – alles wegen der schlechten Luft!

Das wissen die Tessinerinnen und Tessiner. Und das ist mit ein Grund, warum sich renommierte Ärzte –  Krebsforscher, Lungenspezialisten – ans Bundesparlament gewandt und gesagt haben: «Baut die zweite Röhre nicht, das Tessin erträgt nicht noch mehr Verkehr.»

Wie heftig der Widerstand ist, zeigte sich an der hohen Zahl der Unterschriften zum Referendum aus dem Tessin. Nur weil fast alle National- und Ständeräte aus dem Tessin für die 2. Röhre sind, heisst das noch lange nicht, dass die Bevölkerung dafür ist!

Und wie beurteilen Sie das Klima gegenüber der zweiten Gotthardröhre ausserhalb dieser beiden Kantone, also im «Rest der Schweiz»?

Thomas Bolli: Gesamtschweizerisch hat man vielleicht den Eindruck, Umweltthemen seien weniger wichtig geworden als auch schon. Die generelle Sensibilisierung gegenüber der Klimaerwärmung ist aber mit Sicherheit heute deutlich stärker als noch vor wenigen Jahren. Gewiss auch deshalb, weil im Berggebiet der Temperaturanstieg viel stärker ist als in flachen Ländern. Das führt zum Auftauen des Permafrosts, zu immer mehr Steinschlägen, zum Abschmelzen der Gletscher. Die Schweizer Bevölkerung weiss, was das bedeutet. 

Ich erinnere aber auch an die Revision zum Raumplanungsgesetz und die Annahme der  Zweitwohnungs-Initiative, was ebenfalls darauf hindeutet, dass die Schweiz weiss, dass im Alpenraum die Ressourcen nicht unerschöpflich sind und die Alpen ein sehr sensibles ökologisches System sind, zu dem Sorge zu tragen ist.

Ein weiterer Punkt, der die generelle Haltung gegenüber diesem Mega-Projekt prägt, ist auch das Geld. Wird  am Gotthard ein 5. Tunnel gebaut – also die nun zur Abstimmung kommende 2. Strassenröhre wäre der insgesamt 5. Tunnel – werden deswegen viele Verkehrsprojekte aufgeschoben: Es gibt eine riesige Liste von Projekten, welche die Kantone und Städte gerne realisiert hätten. Zum Beispiel in Luzern die Stadtumfahrung, der Tiefbahnhof undsoweiter.  

Es fehlen dem Bund Milliarden, um nur schon die bestehenden Autobahnen zu sanieren; sie sind zum Teil 40 oder 50 Jahre alt. Wie knapp aber die Gelder sind, haben wohl noch nicht alle begriffen. Warum denken Sie, wollte Doris Leuthard die Autobahnvignette auf 100 Franken erhöhen? Warum sagt sie, dass der Benzinpreis um 20 Rappen pro Liter erhöht werden müsste? Der Fall ist doch klar: Es fehlt in der Bundeskasse das Geld für die immer grösser und immer stärker belastete Infrastruktur. 

Welche Rolle spielt in dieser Thematik der «Mythos Alpen»?

Thomas Bolli: Die Schweizer Alpen sind ein Erholungsraum, einer der grössten zusammenhängenden Naturparks überhaupt in Europa, ein wichtiger Wirtschaftsraum, und die Berge spielen für den Tourismus eine zentrale Rolle. Die Schweizerinnen und Schweizer lieben ihre Berge! Sie gehören zur Identität, zu ihrem Heimatgefühl. Und vergessen wir nicht: die Alpen sind das Wasserschloss Europas. Wenn es keine Gletscher mehr gibt, die im Sommer Wasser frei geben, entstehen ernsthafte Probleme.

Sie haben die Auswirkungen des Lastwagenverkehrs auf das Tessin angesprochen. Luzern ist ebenfalls betroffen vom ständig steigenden Schwerverkehr vom und zum Gotthard. Wie beurteilen Sie die Stimmung hier?

Thomas Bolli: Es gibt prominente Gegner wie CVP-Ständerat Konrad Graber, ein wirtschaftsfreundlicher, klar bürgerlicher Politiker. Der Mann hat Mut und Rückgrat, gegen dieses Projekt zu kämpfen.

Er argumentiert einerseits aus finanziellen Überlegungen, sagt aber anderseits auch: Es erträgt nicht noch mehr Lastwagen auf der Nord-Süd-Achse und damit auch in unserer Region. Zudem sieht er, wie die erwähnten Projekte in Luzern wegen der Ausgaben für den 2. Gotthardtunnel auf Jahre hinaus finanziell blockiert bleiben werden. 

Ein Vergleich: der Gotthard-Strassentunnel verzeichnet 17 000 Fahrzeuge pro Tag, der Reussporttunnel in Luzern über 90 000. Das zeigt klar, dass die drängendsten Verkehrsprobleme in den Agglomerationen anstehen und nicht am Gotthard. 

Fakt ist zudem: 2035, wenn die 2. Röhre fertig wäre, wird es im Grossraum Luzern, also von Emmen bis Stans und Sarnen, praktisch immer Stau haben. Dann verschärfen noch mehr Transitlastwagen das Problem entscheidend. 

Wie viel Geld haben die Gegner für ihre Kampagne gegen die zweite Röhre?

Thomas Bolli: 1,5 Millionen Franken. 

Und die Befürworter?

Thomas Bolli: Das müssen Sie dort fragen. Im «Blick» haben sie einmal gesagt, es seien zwei Millionen. Aber schauen Sie: Die Befürworter wollen die Schweizer Haushalte mit einer Abstimmungszeitung beliefern, das alleine kostet eine Million. Es ist «David gegen Goliath», da machen wir uns nichts vor. Aber das schreckt uns nicht: Wir haben sehr viele Helferinnen und Helfer, die kostenlos für unsere Kampagne arbeiten und hochmotiviert sind. Das war übrigens bereits 1994 bei der Abstimmung über die Alpen-Initiative so. 

Wer hat denn eigentlich ein Interesse an der zweiten Röhre und warum?

Thomas Bolli: Zuallererst die Bauwirtschaft und der Nutzfahrzeugverband, also die Lobby der Strassentransportunternehmen. Der Bauwirtschaft brächte die Röhre satte Aufträge während vieler Jahre, dem Lastwagen-Transportgewerbe die kürzeste Nord-Süd-Verbindung Europas durch die Alpen.

Die Automobilisten müssen sich überlegen, ob sie den Ausbau am Gotthard wollen oder das Geld lieber dort investiert sehen wollen, wo sie täglich unterwegs sind. Den «Fünfer und das Weggli» gibt es nicht. Eine 2. Röhre dient aber vor allem auch den ausländischen Touristen in den Ferienorten in Italien – und der europäischen Lastwagentransportbranche. 

Mit der 2. Röhre wird der Gotthard tatsächlich zur kürzesten vierspurigen Autobahn vom Norden Europas in den Süden Europas. Er würde Verkehr anziehen, der heute über den Brennerpass fährt. Das würde der EU besonders gut gefallen. 

Man geht davon aus, dass die Zahl der Lastwagen, die durch die Alpen fahren, sich mit der 2. Röhre verdoppeln würde von 1 auf 2 Millionen pro Jahr. Die Zunahme träfe alle Alpenpässe, also nicht nur den Gotthard, sondern auch den San Bernardino, Simplon und Grosser St. Bernhard. Das kann doch nicht das Ziel sein! 

Interview: Herbert Fischer 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/