Sepp Riedener: Im Namen Gottes auf der Gasse
Am übernächsten Samstag (29. August) feiert die Gassenarbeit Luzern ihr 30-jähriges Bestehen. Damit wird auch Sepp Riedener ein Thema.
Sepp Riedener am Karfreitag 2015, als Reformierte und KatholikInnen in Luzern zum elften Mal den «Ökumenischen Kreuzweg» durchführten.
Bild: Herbert Fischer
Wer in Luzern den Namen Sepp Riedener hört, hört zugleich das Wort Gassenarbeit. Und wer «Gassenarbeit» hört, hört auch den Namen Sepp Riedener. Das sagt alles; vergleichbar ist die Wechselwirkung des Namens Alfred Waldis mit dem Verkehrshaus.
Das hängt nicht allein mit der Persönlichkeit, der Strahl- und Tatkraft des katholischen Theologen, seinem unvorstellbaren Netzwerk und seinem beeindruckenden Lebenswerk hier in Luzern zusammen. Der Name steht auch ausserhalb Luzerns längst immer und überall dort im Mittelpunkt, wo Rezepte und nachhaltige Strategien gegen soziales Elend als Folge von Suchtproblemen nicht nur diskutiert, sondern auch tatkräftig umgesetzt werden. Oder andersrum: Sepp Riedener hat Pionierarbeit geleistet, die anderswo gerne abgekupfert wird.
Eigentlich pensioniert, aber noch immer unterwegs
Sepp Riedener. Theologe. Sozialarbeiter. Mitmensch. Freund. Seit 40 Jahren ist er in der Katholischen Kirchgemeinde Luzern tätig. Zehn Jahre im Aufbau der kirchlichen Jugendarbeit in der Stadt Luzern, seit 1985 beim Aufbau des Ökumenischen Vereins Kirchliche Gassenarbeit («Gassenküche», medizinisches Ambulatorium, aufsuchende Gassenarbeit, «Paradiesgässli», Seelsorge bei Randgruppen). 2008 ist er pensioniert worden.
Doch von Rast und Ruh ist keine Rede. Er blieb «Seelsorger auf der Gasse in einem Teilzeitpensum», wie er es in der für ihn typischen Bescheidenheit nennt, engagiert sich auch fortan im Verein Hôtel Dieu (Treffpunkt Stutzegg) und bei den Sans Papiers.
Im Einklang mit dem Frieden
Für sein jahrzehntelanges und erfolgreiches Wirken ist er unter anderem mit der Ehrennadel der Stadt Luzern (ihrer zweithöchsten Auszeichnung nach dem Ehrenbürgerrecht) und durch die renommierte Herbert Haag-Stiftung geehrt worden; so benannt nach dem gleichnamigen Theologieprofessor, einem der Mit-Begründer und Vorreiter der nach ihm durch Professor Hans Küng weiter getragenen Idee des Weltethos, der globalen Koexistenz und Zusammenarbeit aller Religionen auf dem Weg zum Frieden zwischen Völkern und Religionen.
Franz Zemp als Nachfolger
Derlei Lob ist hier aus zweierlei Gründen der Rede wert. Die Gassenarbeit Luzern hätte wohl kaum ihre vielfältige und differenzierte Angebotspalette derart nachhaltig zustande gebracht, wenn nicht ein so erfahrener Pionier und hartnäckiger Kämpfer sie er-gründet, be-gründet und für die Zukunft so wetterfest positioniert hätte wie Sepp Riedener; ein zutiefst katholisch gläubiger, aber ebenso offener und liberaler Mensch, der «nicht aus einfachen, sondern aus ärmlichsten Verhältnissen» stammt, gut imprägniert und geerdet durch die Niederungen des irdischen Alltags.
Und zweitens: der nicht derart beseelt ist von der Überzeugung, dass eine Institution wie die Gassenarbeit nur dann erfolgreich werden und wirken kann, wenn sie breit abgestützt ist; breit, wie beispielsweise gemeinsam über die katholische, die reformierte und die christkatholische Kirche.
Kommt dazu: Riedener ist ein begnadeter Rhetoriker, der seine Botschaften zielgruppengerecht und treffsicher zu platzieren weiss. Ein immer eindringlicher, aber nie penetrant argumentierender Gesinnungstäter von enormer Authentizität, stets darauf bedacht, sein Gegenüber abzuholen und zu überzeugen, aber nie zu überreden und erst recht nicht zu überfahren; fraglos ein Meister dieses anspruchsvollen Fachs. Auch das ist Teil seines Erfolgs. Dass Sepp Riedener nun auch als Seelsorger der Gassenarbeit in den Ruhestand tritt, wird ihm nicht nur allseits gegönnt und herzlich verdankt; man weiss inzwischen, dass er einen Nachfolger von vergleichbarem Kaliber hat: Franz Zemp, den Pfarreileiter von St. Josef im Maihof.
Die Stube der Herzen
Heute gliedert sich die Gassenarbeit in Luzern in mehrere Tätigkeitsbereiche. Die «GasseChuchi» am Geissensteinring – die bekannteste dieser Institutionen. Sie verköstigte allein 2014 insgesamt 15 000 mal hungrige Mäuler mit warmen Mahlzeiten, wie deren Leiter Philippe Frey und Olivier Wehrli im Jahresbericht rapportieren. Doch die Idee, Menschen mit Suchtproblemen gemeinsam zu verköstigen, geht über ihre Verpflegung hinaus: «Der Begriff Stube bezeichnet etymologisch einen warmen Wohnraum. In der warmen Stube kommt die Familie zusammen, es wird gefeiert, gelacht. Die Stube assoziiert Wärme und Geborgenheit und ist ein Ort, wo man einkehren und zu sich selber kommen kann. Die warme Stube bot früher den Alten und Kranken Raum und die „GasseChuchi” bietet diesen heute den Randständigen.»
«Paradiesgässli» jetzt auch im «MaiHof»
Nicht alle, welche die «GasseChuchi» besuchen, verpflegen sich dort, zum Preis von bloss fünf Franken übrigens. Die Möglichkeit, sich hier ohne Konsumzwang aufzuhalten, ist genauso wichtig. Die Leiter Philippe Frey und Oliver Wehrli wissen: «Der Alltag der Klientinnen und Klienten ist oft geprägt von Gewalt, Illegalität, Prostitution, Krankheit, körperlichem Zusammenbruch, Fixen, Obdachlosigkeit, undsoweiter. Oft sind die Klientinnen und Klienten durch ihre Sucht sozial isoliert. Diesen Menschen bietet die „GasseChuchi“ einen Raum, in dem sie sich vom Stress des Gassenlebens zumindest für eine kurze Zeit erholen können.»
Neben der «Chochi», wie die Einrichtung auf der Gasse heisst, betreibt die Gassenarbeit Luzern weitere Einrichtungen, unter anderem das «Paradiesgässli» am Rosenberg, wo drogenabhängige Eltern mit ihren Kindern Schutz und Hilfe finden. Fridolin Wyss: «2014 konnten wir das Paradiesgässli im Pfarrhaus MaiHof ausbauen, weil das Pfarramt ins Pfarreizentrum umzog. Somit haben wir mehr Platz für die Familien beim Mittagessen mittwochs, für die Kinder mehr Raum zum spielen und für die Schüler ein eigenes Zimmer mit PC und Internetanschluss, um die Hausaufgaben zu machen.»
Laut Fridolin Wyss, dem Geschäftsführer der Gassenarbeit, besteht die grosse Herausforderung im laufenden Jahr darin, die Betriebe GasseChuchi und die Kontakt- und Anlaufstelle («K+A») zusammenzuführen. Sinn und Zweck dieses Projekts erklärt er so: «Es geht darum, dass aus einer Hand – sprich aus einem Betrieb – drogenabhängige Menschen verschiedene Dienstleistungen erhalten. Man könnte auch sagen, der Geissensteinring 24 ist ein Haus der Begegnung mit verschiedenen Dienstleistungen für drogenabhängige Menschen.»
Herbert Fischer
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Dieser Text ist für den Jahresbericht 2014 der Gemeinnützigen Gesellschaft Luzern (GGL) entstanden und dort erstmals publiziert worden.