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Kolumne der Redaktion

17.10.2013

Häusliche Gewalt beschädigt Betroffene dauerhaft

Die Fachstelle LîP Koordination Gewaltprävention setzt gemeinsam mit der Bildungsstelle Häusliche Gewalt Luzern, der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch und lokalen KooperationspartnerInnen ein öffentliches Zeichen gegen Häusliche Gewalt und für den Schutz Betroffener. Zurzeit präsentiert sie dazu in der «Kornschütte» in Luzern eine Ausstellung. Zugleich finden mehrere Veranstaltungen statt. Unter den Mitwirkenden ist der Philosoph Roland Neyerlin, der eigens für lu-wahlen.ch diesen Beitrag geschrieben hat.


Roland Neyerlin (*1952) ist Heilpädagoge und Philosoph. Seit mehr als zehn Jahren führt er in Luzern eine Philosophische Praxis. Er moderiert diverse «Cafés philo» und empfängt Gäste zum Philosophieren im Kleintheater Luzern. Das gemeinsame Nachdenken über sich und die Welt steht für ihn im Vordergrund: «Philosophie als Philosophieren ist Selberdenken.»

Roland Neyerlin ist ein Welt- und Weltenreisender. Der Elfenbeinturm ist nicht sein Aufenthaltsort. Er schaut sich draussen um und will Brücken schlagen zu den Menschen und ihren konkreten Lebenswelten mit all ihren Fragen. Er sagt: «Philosophie ist Theorie und Praxis des guten Lebens».

Beim Thema Familie und Partnerschaft assoziieren wir fast schon reflexartig heile Beziehungswelten. Unsere Köpfe und Herzen sind voll gestopft mit romantischen Bildern. Doch das Leben ist meist anders als unsere rosaroten Bilderwelten. Was interessanterweise nicht bedeuten muss, dass wir ohne schlechter leben würden. Gewalt in der Beziehung oder in der Familie sind heute eine Realität, die Betroffene dauerhaft beschädigt.

Wie diese Gewalt-Wirklichkeit aussieht, lässt sich mit ein paar Zahlenbeispielen eindrücklich belegen (1):

- 55% der vollendeten Tötungsdelikte ereigneten sich 2011 im häuslichen Bereich. 

- 2011 waren Frauen 3,1-mal häufiger als Opfer häuslicher Gewalt betroffen als Männer. 

- 2011 waren unter den weiblichen Opfern 4,5-mal mehr Ausländerinnen betroffen als Schweizerinnen. 

- 2011 waren Männer 4,1-mal häufiger Tatperson häuslicher Gewalt als Frauen. 

- 2011 waren unter den männlichen Tatpersonen 3,5-mal mehr Ausländer betroffen als Schweizer. 

- Von 2009 bis 2011 ist gesamthaft ein Rückgang von 7.3% der Straftaten im Bereich häusliche Gewalt zu beobachten. Hingegen ist von 2009 bis 2011 eine Zunahme der schweren Fälle häuslicher Gewalt zu verzeichnen. 

Eine zynische Provokation:«Willkommen zu Hause»

Angesichts dieser Zahlen liest sich der Titel Willkommen zu Hause der Ausstellung zu Gewalt in Familie und Partnerschaft in der Kornschütte wie eine zynische Provokation. Das Zuhause kann sich schnell von einem Hort der Geborgenheit und Liebe in einen Ort des Grauens verwandeln. Es ist not-wendig, über die Gewalt in Familie und Partnerschaft eine gründliche gesellschaftliche Auseinadersetzung zu führen, damit Not abgewendet werden kann. Die eigenen vier Wände sind längst zum politischen sprich politischen Raum erklärt worden und steht deshalb zur Debatte. Dabei geht es um den Schutz der Betroffenen und um die Erarbeitung von Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten

Das Phänomen selbst zeigt sich facettenreich und hoch komplex. Schnelle, ideologische Antworten helfen da nicht weiter. Es geht um wirkliches Verstehen und angemessenes Handeln. Wichtig wäre beispielsweise die begriffe Macht und Gewalt nicht dauernd in ihren Konturen zu vermischen.

Macht gründet auf Freiheit

Macht beruht, so liesse sich mit Hannah Arendt feststellen, stets auf Freiheit. Sie schliesst die Freiheit – auch die Freiheit der Anderen – nicht aus, sondern gründet in ihr. Die bewusste Vermittlung zwischen Macht und Freiheit bleibt eine dringliche Aufgabe. Es gibt so etwas wie eine Forderung der Menschlichkeit, die den Anderen in seinem Anders-sein achtet und respektiert. Macht ist ein Können, ein Spiel zwischen Menschen und Dingen, unabweisbar und gefährlich, aber doch nicht grenzenlos! Der Andere selbst ist diese Grenze!

Macht und Gewalt sind zweierlei

Diese Einsicht, dass sich Macht und Freiheit nicht notwendigerweise auszuschliessen brauchen, bedeutet in letzter Konsequenz, dass wer Macht will, die freie Zustimmung der Anderen braucht. Macht ist dann am mächtigsten, wenn sie gewaltlos wirkt und beim Gegenüber sogar das Gefühl der Freiheit erzeugt. Genau darin unterscheidet sich Macht fundamental von der nackten Gewalt. Bin ich gewalttätig, dann versetze ich den Anderen in Unfreiheit und Passivität. Reine Gewalt schliesst Freiheit vollständig aus. Macht, die Bestand haben will, muss das Gefühl der Freiheit selbst produzieren. Am stabilsten ist meine Macht, wenn ihr freiwillig zugestimmt wird, respektive, wenn ich von Anderen ermächtigt werde.

Mit der Ausstellung Willkommen zu Hause und einem spannenden Rahmenprogramm wollen die Veranstalter ein Zeichen setzen und das Nachdenken im gemeinsamen Gespräch befördern. Die Auseinandersetzung über Gewalt in Familie und Partnerschaft ist existentiell im besten Sinne (siehe unter «Links»).

Roland Neyerlin, Luzern

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 [1] Vgl. Bundesamt für Statistik, Zoder Isabel. 2012. Polizeilich registrierte häusliche Gewalt – Übersichtspublikation. Neuchâtel. 


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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/