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Kolumne der Redaktion

05.03.2013

Zur Rolle der Medien im Drama von Menznau: Überforderung ist keine Sünde, Besonnenheit tut not

Eine Replik auf den Beitrag von Herbert Fischer vom 28. Februar («Wie der Amoklauf von Menznau mehrere Medien schlichtweg überfordert hat»).


In aussergewöhnlichen Situationen ist es für Journalisten, die Polizei, aber auch für die Behörden äusserst schwierig, in gewohnter, sozusagen «kalter Professionalität» zu handeln. Das «Grossereignis» wird am ehesten noch bei der Polizei geübt. Auffallend ist, dass bei den polizeilichen Verlautbarungen der ersten beiden Tage nach dem Amoklauf von Menznau auf alle Aussagen verzichtet wurde, welche die Öffentlichkeit über das faktische Geschehen hinaus hätten emotionalisieren können. 

So wurde die Routineaussage vom «Migrationshintergrund» der Täterschaft bewusst weggelassen, weil andernfalls wohl fast nur dieser Gesichtspunkt zur Einordnung des Geschehnisses verwendet worden wäre. Auch der Name des prominentesten Opfers, des Schwingers Benno Studer, wurde nicht von der Polizei, sondern meines Wissens zuerst von der Presse, mutmasslich sogar vom «Blick», bekanntgegeben. 

Beide, die Polizei und die Presse, haben, mindestens bei den Elementar-Informationen, das Ihrige geleistet. 
Eines muss klar sein: Mörder, vor allem Massenmörder, haben nicht den geringsten Anspruch auf Geheimhaltung ihrer Person. Die Namen Breivik, Leibacher und sogar der Bieler Mathematiker Kneubühl, der immerhin nicht als Massenmörder zu bezeichnen ist, standen samt Foto postwendend in der Zeitung. Insofern wundere ich mich, dass man immer noch von «Victor B.» spricht; wohl hauptsächlich zum Schutz zahlreicher Kosovaren mit gleichem Familiennamen, welche Rücksicht bei einem Täter mit Schweizer Herkunft wohl nicht genommen würde. 

Eine Geheimhaltung des Namens oder auch des Bildes eines Massenmörders ist in keiner Weise von der Menschenrechtslage her geboten, zumal auch deswegen nicht, weil es ja auch nachträgliche Ermittlungen gibt und insofern auch zufällige Zeugen, die den Täter in letzter Zeit gesehen haben, sich allenfalls noch melden können. 

Der Rest dient freilich der Befriedigung der Neugier, was «Blick» und andere genau wissen. Vor Gericht pflegen sich Täter dieser Kategorie jeweils zu verhüllen, was indes nicht heisst, es wäre illegitim, ihre Gesichter zu sehen. Täter schändlichster Taten sollen sich, wie etwa die «Fritzls», ruhig schämen, und ihre Taten bleiben auch, wie zum Beispiel die von Kampusch-Entführer Priklopil, über ihren Tod hinaus empörend, weswegen dem Versteckspiel durch Veröffentlichung des Täterbildes ein für allemal ein Ende gemacht werden soll. 

Analoges gilt für den Täter von Menznau; es gibt nicht den geringsten Grund, seinen Namen geheim zu halten. Er ist nun mal für die nächsten 300 Jahre leider in die Luzerner Kriminalgeschichte und die  Geschichte des Luzerner Hinterlandes eingegangen, so wie zum Beispiel der Mordbrenner Johann Keller, der am 31. Oktober 1893 in Luzern guillotiniert wurde. Nicht wenige Einheimische meldeten sich damals freiwillig als Urteilsvollstrecker. Im Grossen Rat war am Tag vor der Hinrichtung ein letztes Begnadigungsgesuch mit 77 konservativen  gegen 48 hauptsächlich liberale Stimmen abgelehnt worden.

Ich bringe das Beispiel aus der Kriminalgeschichte hauptsächlich deswegen, weil mit grossen Schandtaten immer auch eine gewisse Volkswut verbunden ist, welche als Mentalität eines Mobs nie einfach gutgeheissen werden kann. Darum finde ich die aktuellen Aussagen von Behördenmitgliedern, dass es schwer sei, eine solche Tat einzuordnen, äusserst besonnen, generell das eindrucksvolle Verantwortungsbewusstsein von Polizei und Behörden.

In einer extrem heiklen Situation befanden sich die Verantwortlichen der Firma Kronospan. Nicht nur musste die grösste menschliche Katastrophe in der Geschichte der Firma erklärt werden, unfreiwillig kamen auch geschäftliche Schwierigkeiten ans Licht der Öffentlichkeit. Hier hat die Presse wohl mit Recht nicht zu stark nachgehakt, und auch der Vertreter der Gewerkschaft äusserte sich gegenüber dem Schweizer Radio so besonnen und klug , wie dies in einer solchen Situation überhaupt möglich ist.

Das schwarze Titelblatt der «NLZ» bleibt insofern nicht zu beanstanden, als es Ausdruck des Schockzustandes war, in den die im Hinterland keineswegs erwartete Tat unsere Bevölkerung versetzt hat. Und dass die Journalisten es natürlich nicht gewohnt sind, aus dem Ausland angerufen zu werden, mag den einen oder anderen vielleicht an die Grenze der Überforderung geführt haben. Besonnenheit ist und bleibt gefragt; nach dem Vorliegen aller Fakten aber auch eine genaue Analyse, bei welcher der volle Name und Bildmaterial über den Täter so wenig geheimgehalten werden können, als es bei anderen Verbrechen in diesem Ausmass auch der Fall gewesen war.

Bedenklich bleibt, dass spätestens beim Bekanntwerden der «kosovarischen Wurzeln» des Täters praktisch niemand im Kanton Luzern diesen eingebürgerten Mann mehr als Schweizer akzeptiert hat. Auch das müsste einmal schonungslos, ohne Rücksicht auf heuchlerische politische Korrektheit, analysiert werden. 

Einen guten Beitrag zur Differenzierung hat dieser Tage die Basler «Tages-Woche» mit einem Text von Florim Cuculi (34) geleistet, der als Kardiologe am Kantonsspital Luzern arbeitet. Es lohnt sich, eine solche Stellungnahme eines Schweizers mit «kosovarischen Wurzeln» zu lesen (siehe weiter unten unter «Links»). Dass es aber unterhalb der veröffentlichten Meinung, zumal auch in Schwinger-Kreisen, derzeit brodelt – wer wollte dies der zutiefst verletzten Volksseele übelnehmen? 

Im Grossen und Ganzen hat die bisherige Berichterstattung über das traurige Geschehen nicht versagt, bloss sich naturgemäss in einem «grenzwertigen» Bereich bewegt. Wir alle waren überfordert. Primär richtig war es, wie es auch Regierungsrat Graf gehandhabt hat, zunächst einmal den betroffenen Angehörigen ein aufrichtiges Beileid und angemessene Solidarität kundzutun.

Pirmin Meier, Rickenbach


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Kommentare:
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Philip Federer aus Luzern

Montag, 11.03.2013, 09:48 · Mail  Website

Ich störe mich an der Bezeichnung Massenmörder. Mehrfachmörder sind keine Massenmörder. Dies ist ein falscher Vergleich und eine falsche Dramatisierung.

Philip Federer, Luzern

 

Philipp Sigrist aus Sarnen

Dienstag, 05.03.2013, 13:26 · Mail

Guten Tag, Herr Meier

Eigentlich wollte ich Ihren Bericht unbeantwortet lassen. Jedoch vor allem der Schluss hat mich dazu genötigt, trotzdem einige Zeilen zu schreiben.

In Ihrem ersten Abschnitt schreiben Sie: «In aussergewöhnlichen Situationen ist es für Journalisten… äusserst schwierig, in gewohnter, sozusagen "kalter Professionalität" zu handeln.»

Aber genau das erwarte ich von einem guten Journalisten und ehrlich gesagt es ist völlig einfach: die Medienschaffenden sollen einfach über die Fakten berichten, denn diese werden ihnen von den Behörden geliefert. Es ist mir klar, dass hier an erster Stelle steht, so schnell wie möglich zu informieren. Aber nur mit erhärteten Fakten werden die Leser wirklich informiert und es müssen bestimmt später keine Dementis geschrieben werden.

Des weiteren schreiben Sie vom Migrationshintergrund des Täters. Soviel ich mitbekommen habe, schreibt die Polizei ebenso wie auch die Staastanwaltschaft in ihren Mitteillungen immer noch vom «mutmasslichen Täter». Was mich darauf schliessen lässt, dass die Ermittlungen immer noch am Laufen sind.

Des weiteren schreiben Sie ziemlich ausführlich über den biografischen Hintergrund (geografische und geschichtliche Wurzeln) des mutmasslichen Täters. Hier habe ich ein kleines Problem mit der Zuordnung zum Thema. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, verabscheuen auch Sie die Vorverurteilung in der Öffentlichkeit durch die Tatsache, dass der mutmassliche Täter kosovarische Wurzeln haben könnte (siehe dazu den Link in Ihrem Beitrag zum Text von Herrn Florim Cuculi in der «Tages-Woche»).

Leider ist es so, dass die meisten Schweizer Landsleute diese Vorverurteilung sehr schnell machen. Ich möchte Ihnen hier nochmals nahelegen, die Medienmitteilungen der Luzerner Kantonspolizei, beziehungsweise der Luzerner Staatsanwaltschaft zu lesen. Sie werden mir bestimmt Recht geben, dass diese Fakten kaum eine Seite füllen würden; erst recht nicht drei Tage lang. Also muss etwas improvisiert werden und dies hat die «NLZ» in ihren Ausgaben gemacht, was auf billigsten Boulevardjournalismus schliessen lässt.

Es grüsst Sie, Philipp Sigrist, Sarnen

 
 
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Über Herbert Fischer:

Herbert Fischer (1951) arbeitet seit 1969 als Journalist und Pressefotograf. Er war unter anderem Redaktor der «LNN», der «Berner Zeitung» und Chefredaktor der «Zuger Presse». Seine Kernthemen sind Medien (Medienwirkung, Medienethik, Medienpolitik), direkte Demokratie, Sicherheitspolitik, soziale Fragen und gesellschaftliche Entwicklungen. Heute berät und unterstützt er Firmen, Organisationen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit. Fischer war von 1971 bis 1981 Mitglied der SP der Stadt Luzern, seither ist er parteilos. Er ist in Sursee geboren und Bürger von Triengen und Luzern, wo er seit 1953 lebt. Herbert Fischer ist Gründer und Redaktor von lu-wahlen.ch.


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1. Dezember 2021: Hanns Fuchs schreibt über Herbert Fischer:
http://www.luzern60plus.ch/aktuell/artikel/ein-strurbock-im-medienzirkus

Interview von Radio 3fach am 27. August 2012 mit Herbert Fischer:
www.3fach.ch/main-story/lu-wahlen/