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Kolumne von Herbert Widmer

02.04.2011

Und der Patient? Der gehört doch in den Mittelpunkt!

Was wäre das Gesundheitswesen ohne Patienten? 520 000 in der Schweiz im Gesundheitswesen Beschäftigte würden zu «Unbeschäftigen». Unlogisch, ich weiss; und dennoch, so viel auch immer über diesen Bereich diskutiert und geschrieben wird, der Patient scheint keine grosse Rolle zu spielen und wird recht wenig erwähnt – dabei sollte er doch im Mittelpunkt stehen!


Der Patient machte bezüglich seines Status in den letzten 200 Jahren einen riesigen Wandel durch. 1811 konnten sich nur begüterte Menschen einen Arzt «leisten», dafür hatten diese wenigen einen «Leibarzt». Da damals die Behandlung durch den Arzt oft mehr schadete als nützte (Aderlass, Durchfall auslösende Behandlungen undsowei-ter), war dies für die anderen vielleicht gar kein Nachteil. Gegen die Jahrhundertwende (1900) wurde der Patient medikalisiert, das heisst, sein ganzes Leben (Ernährung, Gewicht, Freizeit) wurde der «Gesundheit» unterstellt und damit dem Einfluss der Schulmedizin unterworfen. In den damals aufblühenden Krankenhäusern herrschten Zucht und Ordnung, Ungehorsam der Patienten wurde bestraft.

Patienten sollen Zuneigung erfahren

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden an unfreiwilligen Patienten oft grausame Versuche durchgeführt, diesen Patienten sprach man jegliche Bedeutung ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg sowohl die Bedeutung des Patienten als auch jene des Arztes. Es gelang, eine erfolgreiche Kommunikation und damit ein Vertrauensverhältnis zwischen diesen beiden aufzubauen. Durch ein tiefgreifendes Arzt-Patienten-Gespräch, durch eine genaue Untersuchung, durch eine fundierte Differentialdiagnose und durch sich rasant entwickelnde Therapiemöglichkeiten fühlte sich der Patient umsorgt und ernst genommen. Sein Wunsch, geheilt und gesund zu werden und lange leben zu können wurde ernst genommen. Er konnte damit rechnen, mit Empathie (Zuneigung zum anderen Menschen) behandelt zu werden und konnte in die Behandelnden Vertrauen haben. 

Wie steht es mit der Arzt-Patienten-Beziehung heute?

Wie ist dies nun heute, wo «steht» die Arzt-Patienten-Beziehung? Man spricht heute vom Zeitalter der Dehumanisierung («Entmenschlichung») und Ökonomisierung im Gesundheitswesen. Durch die Überlastung mit administrativen Aufgaben, durch eine rigide Qualitätssicherung – gegen die ich nichts einzuwenden habe – und durch eine mehr als ungeschickte Tarifierung hat der Arzt oft immer weniger Zeit für die eigentliche Begegnung mit dem Patienten. Durch die riesigen Fortschritte in der Diagnostik mit Computertomogramm, MRI, sensationellen Laboruntersuchungen, undsoweiter legen viele Ärzte immer weniger Gewicht auf das Gespräch und die Untersuchung des Patienten. Durch die Druck- und anderen Medien beeinflusst, wünschen auch zunehmend Patienten die «Röhre», nicht oder weniger das Gespräch mit dem Arzt. Dabei geht gerne vergessen, dass 50 % des ärztlichen Erfolges – zumindest beim so genannten Grundversorger oder Hausarzt – im psychosozialen Bereich verankert ist. Berücksichtigt dies der Arzt, soweit er sich dies zeitlich noch leisten kann, erhält er viele erfreuliche Vertrauensbeweise. Heute zeigen Studien auf, dass 32 % der Menschen in unserem Lande psychische Probleme unterschiedlichen Ausmasses haben und 25 % der Beschäftigten mehr oder weniger ausgeprägt unter einem Burnout (Erschöpfung) leiden.

Ökonomisierung – oder: es geht meist ums Geld

Wird heute über das Gesundheitswesen gesprochen, dis-kutiert man meist über die Kosten, über das liebe Geld. Ziel der «Gesundheitspolitik» ist es heute vor allem oder gar nur noch, ein möglichst perfektes Gesundheitswesen für möglichst wenig Geld anbieten zu können, ein erstrebenswertes aber eben unerfüllbares Ziel. Ärzte sind recht oft bereit, bei einer kurzfristig Erfolg versprechenden Dumpingpolitik mitzumachen, sehr wohl ahnend, dass die Folgen für sie und für die Patienten düster sein dürften («Nach mir die Sintflut»).

Patient (und Arzt) im Spannungsfeld

Der Patient steht heute -  den meisten nicht ganz bewusst – in einem ungeheuren Spannungsfeld. Im Vordergrund steht dabei seine Gesundheit oder eben Krankheit. Sein heute weit verbreitetes Informationsbedürfnis deckt er aus den Medien und dem Internet ab, er weiss aber recht oft mit den erhaltenen Informationen nicht genügend anzu-fangen und ist entsprechend verunsichert. Die Kosten – vor allem in Form der Prämien und/oder des Selbstbehalts – sind für viele sehr drückend. Das Tun der Politiker ist nicht gerade verständlich oder gar selbsterklärend. Dem Patienten fremde, von den Politikern eifrig benutzte Ausdrücke wie DRG (Falschpauschale) oder Managed Care (integrierte Versorgung, gesteuerte Fürsorge) tragen das Ihre zur Verwirrung bei. Der Arzt steht in einem gleichen Spannungsfeld, bei ihm spielen noch, wie oben erwähnt, die steil ansteigenden administrativen Anforderungen, die minutiöse Kontrolle seiner «Kostenverursachung» durch die Krankenversicherer, mehr oder weniger (oder gar nicht) gerechtfertigte Rückzahlungsforderungen und anderes mehr eine zunehmende Rolle.

Der Anstieg der Kosten muss ernst genommen werden und ist für viele kaum mehr tragbar, hat aber eine Vielzahl von Vätern: immer mehr Leute arbeiten im Gesundheits-wesen (vor zehn Jahren circa 380 000, heute 520 000), die Zahl der Versicherten steigt pro Jahr um 0.8 – 1.0 %, die Fortschritte in Diagnostik und Behandlung sind enorm, der Staat zieht sich immer mehr aus der Übernahme eines Teils der Kosten zurück; und vieles mehr.

Wie kommen wir aus diesem Dilemma?

Wenn dies einfach wäre, hätte ich keinen Grund, diese Zeilen zu schreiben. Einige «Ratschläge» können hier aber doch gegeben werden:

Die «Politik» soll sich weiterhin um die Kosten, um die Erhaltung der Sozialwerke und anderes mehr kümmern. Sie soll aber begreifen, dass es andere, ebenso wichtige Probleme gibt, die zu lösen sind. Wenn Sitzungen parteiinterner Gesundheitskommissionen mangels zu besprechender Themen und Probleme nicht abgehalten wer-den, ist dies mehr als ein Armutszeugnis.

Die «Politik» sollte sich daran setzen, aus den teils sehr guten Puzzleteilen unseres Gesundheitswesens ein Konzept zusammenzufügen, denn ohne Konzept geht nichts.

Die «Politik» sollte begreifen, dass man nicht DRG (Fall-pauschalen) einführen und damit neue Aufgaben den Hausärzten übertragen kann, wenn man eben diesen Hausärzten den Boden unter den Füssen weg zieht (Dies werden viele Politiker nicht begreifen und nicht glauben!). Ebenso sollte man endlich einsehen, dass man mit 600 pro Jahr ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten nicht den bestehenden Bedarf von 1200 decken kann!

Es muss ein Ziel sein, die Kosten tragbar zu machen; hier müssen Politiker, Ärzte, Pflegende und auch die Patienten mitarbeiten.

Das Vertrauen zwischen dem Patienten und dem Arzt musst wieder gefördert werden. Es ist die Voraussetzung für eine effiziente Heilung. Je nach Fähigkeit des Arztes in der Gesprächsführung, seiner Persönlichkeit und seiner Glaubwürdigkeit entsteht dieses geforderte Vertrauensverhältnis, die entsprechende Zeit sowohl in der Praxis als auch im Spital muss aber wieder gewährt werden. Denn der Patient steht im Mittelpunkt!


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Über Herbert Widmer:

Dr. med. Herbert Widmer (*1946) führt in Luzern eine Praxis für Innere Medizin und ist FDP-Kantonsrat.

http://www.herbert-widmer.ch