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Kolumne von René Regenass

17.03.2011

Wie Flüchtlinge zu Wahlhelfern werden

Die Flüchtlingsströme, die aus Nordafrika erwartet werden, dienen der SVP als Wahlkampfmunition.


Plakat des Flüchtlingstages 2010 in der Schweiz.<br><br>Bild: Herbert Fischer

Plakat des Flüchtlingstages 2010 in der Schweiz.

Bild: Herbert Fischer

«Wir senden möglicherweise ein falsches Signal aus, das die Migranten aus Nordafrika als Einladung auffassen könnten, ihr Glück in der Schweiz zu versuchen». Dies sagte Karin Keller-Suter, die St. Galler FDP-Regierungsrätin am 18. Februar, nachdem Bundesrätin Simonetta Sommaruga ankündete, die Schweiz werde sich auf einen möglichen Flüchtlingsstrom aus Nordafrika  vorbereiten müssen.

Doch das Signal fand andere Adressaten, Leserbriefschreiberinnen vor allem und SVP-Politiker und -Politikerinnen. Wir müssten junge arbeitsfähige Männer nicht willkommen heissen, wie Bundesrätin Sommaruga dies signalisiert habe, sondern zurück in ihre Länder bringen, schrieb SVP-Kantonsratskandidatin Corinna Klein aus Wauwil in der «NLZ». Und Nationalrätin Sylvia Flückiger-Bäni aus Schöftland, Ausschuss-Mitglied der SVP Schweiz und Verwaltungsrätin der Flückiger Holz AG, reichte in Bern eine Interpellation ein: Die Schweiz müsse alle möglichen Massnahmen treffen, um den Zustrom von Flüchtlingen zu verhindern. Das sind für Flückiger «illegale Zuwanderer». 

Ich habe mich schon gefragt, was an mir illegal wäre, wenn ich in einem andern Land Arbeit suchte und dort leben möchte.

Flückiger ist auch Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbandes. In der Nationalratsdebatte von dieser Woche dann korrigierte sie ihre Haltung: Flüchtlinge, die unsern Schutz und unsere Hilfe benötigten, wären in der Schweiz willkommen. Ganz anders tönte es beim Schaffhauser SVP-Hardliner Ulrich Schlüer. Es kämen dauernd zu viele Flüchtlinge in die Schweiz, meinte er und wählte das Wort «Schmarotzer» für sie. SVP-Nationalrat Dominique Baettig aus Delémont, gebürtig in Rickenbach LU, Psychiater und Pistolenschütze, wusste in der Fragestunde anfangs März in Bern, dass «die turbulenten Veränderungen im Maghreb zu einem grossen Teil auf ein massives Bevölkerungswachstum zurückzuführen sind». Die Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen erübrige sich daher. 

Es ist Wahljahr. Und es ist offensichtlich, dass die Rechtspartei auf Grund ihrer Wahlerfolge durch eine restriktive Ausländerpolitik jetzt noch einen drauf gibt. Man kommt nie günstiger zu einer Unterstützung, als wenn man Ängste schürt und angibt, man wisse, was dagegen zu tun sei. Das ist angesichts der Fakten in Nordafrika, angesichts des Aufstands von gutgesinnten Menschen gegen Gewalt, Folter und Korruption, angesichts ihres Mutes, der sie an den Rand von Bürgerkriegen und in den Tod treibt, nur noch peinlich und beschämend.

Ein Leserbriefschreiber im Zürcher «Tages-Anzeiger» zeigte den grössern Zusammenhang der Aufstände und der Flüchtlingswellen auf: «Die Probleme sind nichts anderes als die Folge von 500 Jahren kolonialer Ausbeutung, während denen Europa seinen wachsenden Reichtum auf der rücksichtslosen Plünderung Afrikas aufgebaut hat, vom Sklavenhandel über die gewinnbringende Verwertung unzähliger Rohstoffe bis zum Geschäft mit den Fluchtgeldern blutrünstiger Potentaten. Die Menschen, die heute aus Afrika nach Europa drängen, tun somit nichts anderes, als sich einen winzigen Teil dessen zurückzuholen, was wir ihnen während dieser 500 Jahre weggenommen haben.»

Doch soviel Geschichtsbewusstsein mögen die SVP-Exponenten und ihre Wählerinnen und Wähler gar nicht hören. Logisch eigentlich, weil damit ihr ganzes politisches Vokabular unbrauchbar würde.

Das heisst nicht, dass wir in diesem Land die Augen vor möglichen Folgen der politischen Umwälzungen im Maghreb verschliessen sollen. Aber es gäbe andere Fragen zu stellen, statt nur Angst vor Flüchtlingen zu schüren. Zum Beispiel: Was sind das für junge Männer, die uns als Flüchtlinge in Bildern vorgeführt werden?  Was haben sie für Beweggründe? Oder:

Gibt es Möglichkeiten, in Tunesien oder Libyen direkt zu helfen? Was raten die Hilfswerke? Kann die Schweizer Wirtschaft dabei etwas ausrichten?

Das wären Fragen, die Politiker und Politikerinnen stellen könnten, ohne sich dem Vorwurf des Wahlkampfes auf Kosten von Flüchtlingen auszusetzen.

René Regenass, Luzern


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Kommentare:
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Pascal Merz aus Sursee

Donnerstag, 17.03.2011, 16:10 · Mail  Website

Lieber Herr Regenass

Es ist wirklich schade, dass es die «LNN» nicht mehr gibt. Sonst könnten wir sicher mehr solche Kolumnen lesen. Ich kann Ihren Worten wirklich nichts mehr hinzufügen, ausser: Sie haben das voll auf den Punkt gebracht. Herzlichen Dank.

Freundliche Grüsse
Pascal Merz, Sursee

 
 
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Über René Regenass:

René Regenass (Luzern) war während mehr als 30 Jahren Redaktor der «LNN» und nachher von «Luzern heute».