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Kolumne von Maria Pilotto

11.02.2019

«Mit 39 Prozent weiblichen Kandidaturen haben wir jetzt eine tolle Ausgangslage»

SP-Grossstadträtin Maria Pilotto sagt, warum sie am 31. März für den Kantonsrat kandidiert, welches ihre Kernthemen sind und warum sie mit Blick auf die vielen Kadidatinnen optimistisch ist.


Maria Pilotto eröffnet eine Veranstaltung im Luzerner Kantonsratssaal, in den sie am 31. März 2019 als Vertreterin der SP im Wahlkreis Stadt Luzern gewählt werden will.

Ein Auftritt in einer Kirche in Prag mit dem Chor molto cantabile, den Mario Pilotto (rechts) während mehrerer Jahre präsidiert hat.

Herbert Fischer: Wie sind sie politisiert worden?

Maria Pilotto: In meiner Umgebung gingen viele Kinder ins Kinderparlament. Eines Tages liess ich mich mitreissen und war dann, bis ich 15-jährig war, auch im Jugendparlament der Stadt Luzern. Ich war in diesen Zeiten auch in Arbeitsgruppen oder habe Wahlunterstützung für das Präsidium geleistet – wir haben Kaugummis mit dem Bild des Kandidaten beklebt. Bis zu meinem Parteibeitritt war ich vielfältig an Gesellschaftsthemen interessiert und durch mein Studium, meine Arbeit in der Gleichstellung und mein Hobby im Vorstand des Chors molto cantabile (siehe unter «Links») stets auch mit politischen Themen in Verbindung.

Sie sind erst seit dieser Legislatur als SP-Vertreterin im Grossen Stadtrat. Jetzt kandidieren sie für den Kantonsrat. Warum?

Maria Pilotto: Ich kandidiere nun bereits das zweite Mal für den Kantonsrat. Die traurige, nur auf die Finanzen ausgerichtete Luzerner Kantonspolitik hat mich dazu gebracht, der SP beizutreten und meine Denkkraft und bisherige Lebenserfahrung auf dem politischen Parkett zur Verfügung zu stellen.

Ich möchte Teil der Stimmen sein, die den Kanton Luzern wieder zukunftsfähig machen. Die Bedürfnisse der Menschen und die Gestaltung unserer Gesellschaft gehören wieder in den Vordergrund.

«Die Gestaltung unserer Gesellschaft»?

Maria Pilotto: Ich möchte meine Kernthemen – familienergänzende Kinderbetreuung, Gleichstellung, Altersfragen, etcetera – auch auf kantonaler Ebene einbringen. Immer wieder stosse ich im Grossen Stadtrat an Zuständigkeitsgrenzen der Stadt. Die Stadt hat vielfach eine Vorreiterfunktion und übernimmt auch Leistungen für andere Gemeinden, beispielsweise bei der Aufsicht und Bewilligung bei Kindertagesstätten oder bei der Restkostenabgeltung der Pflegefinanzierung. Die Verantwortung dafür gehört aber auch auf eine gemeindeübergreifende, also kantonale Ebene. Ich bringe hier mein Fachwissen und meine Erfahrung aus dem Stadtparlament ein, damit wir diese bestehenden Herausforderungen auch im Kanton Luzern zukunftsgerichtet meistern können. 

In ihrem letzten Vorstoss (Motion vom 13. November 2018) verlangen Sie in der Stadt Luzern die Schaffung einer Fachstelle für Gleichstellung. Wo liegt das Problem? Was wollen Sie genau?  

Maria Pilotto: Manchmal scheint mir, man habe in Luzern in der Bevölkerung und in der Verwaltung das Gefühl, dass Gleichstellungsfragen hier keine Rolle (mehr) spielen. Verschiedenste Themen flammen aber in internationalen Diskussionen oder auch rund um Luzern immer wieder auf: sexuelle Belästigung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die gläserne Decke für Frauen in Kaderpositionen, Geschlechterstereotypen in der Berufswahl, Frauenarmut im Alter, undsoweiter. Und zwar, weil sie eben auch hier immer noch aktuell sind. Wenn wir bestehendes Wissen für die Stadt nutzen und Gleichstellungsbemühungen aktiv koordinieren, können wir Diskriminierung verhindern und gesellschaftliche Entwicklungen bewusst gestalten. Es gibt ja auch verantwortliche Stellen beim Bund und im Kanton und auch NGOs leisten wertvolle Aufklärung und Unterstützung. Die Stadt sollte jedoch die Fäden hier selbst in die Hand nehmen, Bestehendes im Sinne der Gleichstellung aktiv koordinieren und auch neue Themen in der Verwaltung verankern. Ein Beispiel dafür sind Anliegen der LGBTI*-Community, welche jüngst mit einem Bevölkerungsantrag behandelt wurden (***: am Schluss dieses Interviews).

Erst 1971 ist in der Schweiz das Frauenstimmrecht auf Bundesebene eingeführt worden. Zehn Jahre später kam der Gleichberechtigungsartikel in die Bundesverfassung. Aber noch immer ist die Gleichstellung nicht überall Realität. Welches ist ihr Befund?

Maria Pilotto: Bis zu meinem fünften Geburtstag konnten Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden nicht an kantonalen Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Noch immer halten wir in der Schweiz starr an dem einen Tag «Vaterschaftsurlaub» fest und haben mehr «Josefs» als Frauen in der Politik. Dies beeinflusst, wie wir über Gleichstellung, über gleiche Chancen für Frauen und Männer in allen Lebensbereichen denken. Wir wissen heute so vieles über diese Themen und sollten dieses Wissen nutzen, um die Zukunft clever und für alle fair zu gestalten. Das schlimmste finde ich, wie wir im Moment Gleichstellungsfragen ignorieren. Das holt uns wieder ein!

Das sehen wir zum Beispiel bei der aktuellen Debatte um inländische Fachkräfte. Frauen sollen motiviert werden, ihr Fachwissen, ihre Kompetenzen und damit ihre wertvollen Erfahrungen aus ihren Berufen wieder in die Arbeitswelt einzubringen – aber niemand will sich um die Kinderbetreuung sorgen. 

Warum ist das so? 

Maria Pilotto: Geschlechterrollen und Gleichstellungsfragen zu thematisieren bedeutet, von bekannten Positionen und Strukturen Abschied zu nehmen. Damit werden auch die Privilegien bestimmter Personen in Frage gestellt. Wir dürfen aber nicht locker lassen und müssen die Umsetzung festgeschriebener Rechte immer und immer wieder einfordern.

Ein weiteres Thema Ihrer politischen Arbeit sind sexuelle Belästigungen. Generell: Was kann der Staat überhaupt dagegen machen?

Maria Pilotto: Bei Straftaten ist die Polizei dafür verantwortlich, dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Aber das Ganze ist nicht so einfach. Betroffene müssen sich zuerst einmal melden. Hier spielt es eine grosse Rolle, wie die PolizistInnen damit umgehen. Wenn ich das Gefühl erhalte, ich sei selbst schuld, hat dies eine andere Wirkung, als wenn ich beispielsweise durch eine Kampagne informiert und aufgefordert werde, dass ich mich bei Vorfällen melden kann und soll.

Das Thema der sexuellen Belästigung betrifft auch allgemeine Fragen des Umgangs miteinander. Die Auseinandersetzung damit kann der Staat sehr wohl unterstützen. Wir sind aber alle in der Verantwortung. Und besonders, wenn es um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geht, haben Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gemäss Gleichstellungsgesetz besondere Sorgfaltspflichten. 

Speziell: Was kann die Stadt dagegen tun?

Maria Pilotto: Der Anstoss für meinen Vorstoss kam aus der Stadt Lausanne, wo eine Studie aufzeigte, dass drei von vier jungen Frauen in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal in der Öffentlichkeit sexuell belästigt worden waren. Diese Zahlen werden für die Stadt Luzern nicht gross anders sein. In Lausanne gibt es nun gar ein Aktionsplan gegen Belästigung im öffentlichen Raum, auch gegen LGBTI*-Menschen (***). Dabei geht es um die Sensibilisierung der breiten Bevölkerung sowie von Fachpersonen im Sicherheitsbereich für diese Problematik. Es werden auch zahlreiche Massnahmen umgesetzt, um die Meldung von Vorfällen so einfach wie möglich zu machen. Betroffene trauen oftmals nicht, sich zu wehren – aus Angst davor, für das Geschehene beschuldigt zu werden. Auch die Zusammenarbeit mit Angeboten des Nachtlebens ist wichtig, dessen «Veranstalter» müssen sich ihrer Mitverantwortung bewusst sein. Es gibt Beispiele, wo sich die Stadt inspirieren lassen kann. Für vieles ist auch der Kanton zuständig, da dieser für die Polizei und Gerichte verantwortlich ist. Leider wurde im letzten Herbst ein Vorstoss für eine koordinierte Strategie gegen sexuelle Belästigung im Kantonsrat abgelehnt. Diskussionen, wie #MeToo leisten einen Beitrag, aber das erreicht nicht und genügt noch nicht, um sexueller Belästigung wirklich zu begegnen.

Luzern gilt als gesellschaftsliberale Stadt: Wie beurteilen sie hier das politische Klima gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten?

Maria Pilotto: Ich glaube, dass wir hier gut unterwegs sind. Wir dürfen uns aber nicht auf «verwelkten» Lorbeeren ausruhen. Gerade in Gleichstellungsfragen war Luzern früher Vorreiter, diese Rolle haben wir leider abgegeben. Auch ist eine undiskutierte offene Haltung gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen («gesellschaftsliberal») gefährlich. Es braucht ebenfalls Massnahmen, welche Benachteiligungen aufdecken und konkret angehen. Und das soll auch etwas kosten dürfen. 

Sie engagieren sich nicht nur innerhalb ihrer Partei für die Frauenförderung, sondern auch in einem überparteilichen Komitee (www.frauen-luzern-politik.ch). Warum?

Maria Pilotto: Die Zahlen über die personelle Zusammensetzung in unseren politischen Gremien zeigen, dass wir im Moment bei der gerechten Vertretung von Frauen nicht weiterkommen oder gar wieder Rückschritte machen. Dem entgegen zu wirken ist harte Arbeit – für alle Parteien. Wir haben jetzt die tolle Ausgangslage, dass 39 Prozent Frauen zu den Kantonsratswahlen antreten. Bei der SP liegt der Anteil noch einiges höher. Ich finde es grossartig, dass so viele Frauen (und auch Männer) kandidieren und sich für eine sozialere Politik im Kanton Luzern positionieren. Vor vier Jahren wurden anteilsmässig aber weniger Frauen gewählt, als kandidiert hatten. Wenn wir nun gezielt Frauen wählen, können wir dies wieder umkehren.  

Interview: Herbert Fischer

***: LGBT*= Lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Menschen - wir diese Bezeichnung mit dem Sternchen hinter den vier Buchstaben verwendet, gehören auch Personen mit anderen sexuellen Neigungen und Geschlechterbezeichnungen dazu.


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Über Maria Pilotto:

Maria Pilotto (1986) ist seit 2016 für die SP im Grossen Stadtrat und Mitglied der Sozialkommission. Am 29. März 2020 kandidiert sie für ihre zweite Legislatur. Beruflich war sie 2010 bis 2017 als Fachspezialistin Gleichstellung beim Kanton Luzern tätig. Aktuell arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Und ab März 2020 verantwortet sie die Fachstelle Nachhaltigkeit der Gesamthochschule. 

Von Kindsbeinen an singt sie in Chören, nun seit 16 Jahren beim ambitionierten Luzerner Ensemble molto cantabile. Dort war sie auch langjährig als Vorstandsmitglied und Präsidentin engagiert. 

Ihr politisches Interesse führte sie bereits früh zur Mitgliedschaft im städtischen Kinderparlament und später zum Jugendparlament. Innerhalb der SP ist sie auch im Kernteam der SP Frauen* aktiv und Mitglied des überparteilichen Netzwerks Frauen Luzern Politik. 

Auch wenn er eiskalt ist, schwimmt Maria Pilotto im See: https://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/5561831/Nichts-f