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Kolumne von Beat Murer

22.11.2016

Die Mär von den angeblich sicheren Atomkraftwerken

Wer erinnert sich noch daran, dass die Schweiz 1969 knapp einer Atom-Katastrophe entging? Wie die bazonline.ch im Jahr 2009 – anlässlich des unrühmlichen «40-Jahre-Jubiläums» schrieb, schrammte die Schweiz damals knapp an einer nuklearen Katastrophe vorbei.


Der Atomunfall von 1969 bei Lucens gilt als einer der schwersten Unfälle in einem AKW. Wen erstaunt es, dass dieser Artikel auf bazonline.ch nicht mehr online verfügbar? Soweit hat sich die «Basler Zeitung» unter dem Einfluss von C.B. entwickelt. Zum Glück gibt es allerdings noch unabhängige schweizerische Medien und Quellen, um sich zu informieren.

Tatsächlich wurde am 21. Januar 1969 der Betrieb im Versuchs-Schwerwasserreaktor von Lucens nach einer Revision wiederaufgenommen. Während der Steigerung der Reaktorleistung kam es zur Überhitzung mehrerer Brennelemente. Brennelement Nr. 59 erhitzte sich so stark, dass es schmolz und schließlich auch das Druckrohr zum Bersten brachte. 

Dabei wurden schweres Wasser und geschmolzenes radioaktives Material durch die Reaktorkaverne geschleudert. Die aus dem geschmolzenen Uran freigesetzten Aktivstoffe lösten wenige Sekunden vor dem Bersten des Druckrohres eine Schnellabschaltung des Reaktors aus. 

Das anwesende Betriebspersonal konnte aus den im Kommandoraum verfügbaren Informationen innerhalb der ersten Minuten feststellen, dass der Primärkreislauf aufgebrochen war, der Reaktor jedoch sicher abgestellt und die Kühlung des Reaktorkerns gewährleistet war. Es leitete die gemäß Notfallplan nötigen Maßnahmen ein und konnten dabei einen vorläufig sicheren Zustand der Anlage und ihrer Umgebung feststellen. Nach einer Stunde wurde auch in den übrigen Kavernenanlagen eine erhöhte Radioaktivität festgestellt, was bedeutete, dass die Reaktorkaverne nicht dicht war. Bei Messungen in den umliegenden Dörfern konnte ein Anstieg der Radioaktivität festgestellt werden. 

In der Folge des Unfalles wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, welche die Ursache für den Unfall ermitteln sollte. Erst nach zehn Jahren publizierte sie 1979 einen Schlussbericht. Darin kam sie zum Schluss, dass sich während der Revisionsarbeiten vom Herbst 1968 bis zum Januar 1969 in einigen Brennelementen Wasser angesammelt haben musste, was die Elemente teilweise von innen korrodieren liess.

Die Dekontamination und Zerlegung des Reaktors zog sich bis Ende 1971 hin. Insgesamt fielen 250 Fässer radioaktiver Abfälle an. 2003 wurden diese Fässer von Lucens ins Zwischenlager nach Würenlingen im Kanton Aargau transportiert. 

Im gleichen Jahr, als der Bericht über die Havarie bei Lucens erschien, ereignete sich ein sehr schwerer Störfall im Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg, USA; ein ernster Unfall, bei dem es im Reaktorblock 2 des Kernkraftwerks zu einer partiellen Kernschmelze kam, in deren Verlauf etwa ein Drittel des Reaktorkerns fragmentiert wurde oder geschmolzen ist. Lange Zeit waren die Techniker ratlos, wie sie die Problematik einigermaßen in den Griff bekommen könnten und die Welt hielt den Atem an. Weitere exemplarische Vorfälle in diesem 2-Reaktorenatomkraftwerk:

. Am 7. Februar 1993 durchfuhr ein Mann mit einem Pkw die Absperrungen vor dem KKW und weiter durch ein Rolltor, bis er schließlich in der Turbinenhalle stehen blieb. Zu diesem Zeitpunkt war der Atomreaktor voll in Betrieb. Der Mann konnte erst Stunden später festgenommen werden. Der Vorfall wurde erst acht Jahre später erstmals publiziert. Dem Täter (Pierce Nye) wurde nicht der Prozess gemacht, er wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

. Der unbeschädigte Block 1 des KKW wurde 1985 wieder in Betrieb genommen, obwohl eine unverbindliche Volksabstimmung in der Region Harrisburg 1982 dies mit zwei Dritteln Mehrheit abgelehnt hatte.

. Am 21. November 2009 kam es in diesem gerade wegen Wartungsarbeiten stillgelegten Block zu einer Freisetzung von Radioaktivität, bei der mehrere Mitarbeiter kontaminiert wurden.

. Aufgrund eines überhitzten Kühlpumpenmotors an Reaktor 1 kam es in der Nacht des 5. Oktober 2015 zu einem Brand in der Anlage. Laut Behördenauskunft sei dabei keine Radioaktivität freigesetzt worden

Interessant ist die unrühmliche Geschichte von Three Mile Island bei Harrisburg wie nachstehend beschrieben auch im Zusammenhang mit der aktuellen Ausstiegsabstimmung (27. November) in der Schweiz, wo bis spätestens Ende 2017 die ältesten AKW der Schweiz ausgeschaltet werden sollten, welche notabene noch vor Three Mile Island in Betrieb benommen wurden:

In dem Kernkraftwerk wurden zwei Druckwasserreaktor-Blöcke mit einer elektrischen Nettoleistung von 805 MW bzw. 880 MW betrieben. Block I wurde 1974, Block II 1978 in Betrieb genommen. Beide Blöcke verfügen über jeweils zwei 130 Meter hohe Naturzug-Nasskühltürme. Ursprünglich war geplant, den noch voll funktionstüchtigen Block I im April 2014 vom Netz zu nehmen. Im Oktober 2009 gab die Nuclear Regulatory Commission jedoch bekannt, dass sie die Betriebserlaubnis bis 2034 verlängert habe! 

Aufgrund des Fracking-Booms in den Vereinigten Staaten – seit etwa 2010 – ist Three Mile Island zunehmend unrentabel geworden und es wurde mehrfach über eine vorzeitige Stilllegung der Anlage gemutmaßt. Im August 2015 konnte sich die Anlage bei einer Ausschreibung nicht dafür qualifizieren, ihren Strom über das Jahr 2018 hinaus in die Stromnetze einzuspeisen. Dasselbe Schicksal ereilte Exelons Kraftwerke Quad Cities in Illinois und Oyster Creek in New Jersey. Der Betrieb ist somit bis Ende Mai 2018 gesichert, ein Weiterbetrieb und damit die weitere Zukunft der Anlage jedoch sind fraglich.

Three Mile Island ist neben den Kernkraftwerken Byron (2 Reaktoren), Clinton (1 Reaktor), Ginna (1 Reaktor), Oyster Creek (1 Reaktor) und Quad Cities (2 Reaktoren) eine von zahlreichen Anlagen desselben Betreibers, die akut von einer endgültigen Abschaltung vor 2020 betroffen sind.

Beat Murer, Luzern 


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Über Beat Murer:

Beat Murer (*1949) ist in Luzern aufgewachsen, wo er nach dem Besuch der Zentralschweizerischen Verkehrsschule 23 Jahre bei den SBB diverse Funktionen - vom Betriebsdisponenten bis zum Liegenschaftsverwalter - ausübte. Als Weiterbildungen besuchte er den Verwaltungskurs für Luzernische Verwaltungsbeamte und den SVIT-Fachkurs für Immobilientreuhänder.

Bis zu seiner Pensionierung im Frühjahr 2011 leitete er 17 Jahre das Ressort  Wahlen und Abstimmungen der Stadt Luzern. Dies beinhaltete unter anderem die Organisation und Durchführung sämtlicher eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Wahlen sowie diejenigen der katholischen und reformierten Kirchgemeinden. Zudem war er dort bis 2010 für die Prüfung von Initiativen/Referenden/Volksmotionen zuständig. 1990 bis 1992 vertrat er die SP im Grossen Stadtrat und von 1998-2006 war Beat Murer Mitglied des Grossen Kirchenrates der Katholischen Kirche Stadt Luzern.

Beat Murer kandidierte für die glp 2012 als Grossstadtrat.

Sein Motiv, bei lu-wahlen.ch als Kolumnist mitzuwirken: «Ich will so mithelfen, dass verantwortungsbewusste politische Diskurse möglich werden.»