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Kolumne von Pirmin Meier

12.07.2013

Pirmin Meier würdigt Verkehrshaus-Pionier Alfred Waldis

Alfred Waldis, Ehrenbürger der Stadt Luzern, massgeblicher Gründer des bedeutendsten Verkehrsmuseums im Alpenraum, des Verkehrshauses Luzern, an den Spätfolgen eines Sturzes verstorben am 10. Juli 2013 im 94. Altersjahr (geb. 7. September 1919), wurde als breit gebildeter Eisenbahnfachmann der erfolgreichste und bekannteste Museumspädagoge seines Landes.


Alfred Waldis, Mitbegruender und erster Direktor des Verkehrshaus Luzern, liess am Dienstag, 7. September 2004 im Verkehrshaus Luzern, VHS, von der Geburtstagstorte IMAX 85 Ballone mit Gutscheinen fuer den Eintritt von gleichviel Familien steigen, um seinen 85. Geburtstag und das 45-jaehrige Bestehen des VHS zu feiern.

Bild: Photopress / Verkehrshaus

Der Kulturpreisträger der Innerschweiz (1972) und Ständige Ehrengast der Eidgenössischen Technischen Hochschule war längere Zeit auch Mitglied des Verwaltungsausschusses des Deutschen Museums München und des Museums für Verkehr und Technik Berlin; auch in Paris und Washington war sein Rat gefragt. Die amerikanischen Astronauten von Neil Armstrong bis John Glenn und Walter Schirra gehörten zu seinen Freunden, mit denen er regelmässig Kontakt pflegte. Entsprechend gehörten das Planetarium und die Halle Luft- und Raumfahrt zu den grössten Attraktionen des am 1. Juli 1959 eröffneten Verkehrshauses der Schweiz. Für dieses hatte er schon in dessen gesamter Aufbauphase seit 1956 gearbeitet und auch nach seiner formellen Pensionierung die Hauptverantwortung für dessen Ausbau übernommen. 

Der «Technikkenner von Weltrang», dem die «Neue Zürcher Zeitung» im Nachruf vom 11. Juli 2013 ein fast «grenzenloses Wissen» bescheinigte, war wohl der einzige Nichtakademiker, der es im genannten Weltblatt auf siebzig oder mehr Fachbeiträge brachte. 

Der spätere Ehrendoktor der Universität St. Gallen hatte nämlich in Luzern nicht etwa das dortige gute Gymnasium, sondern lediglich die Primar- und Sekundarschule besucht. 

Dass jedoch die Schweizer Bundesbahnen wie auch die Post in Luzern eine Verkehrsschule führten, war die Bildungschance des jungen Eisenbahnerlehrlings, die er sich nicht entgehen liess. Hat Luzern von Ignaz Paul Vital Troxler (1780 - 1866), dem Philosophen der Bundesverfassung, bis zu den Theologen Hans Urs von Balthasar (1904 - 1988)  und Hans Küng (*1927) bedeutende Gelehrte hervorgebracht, bleibt es doch bedenkenswert, dass die zwei bekanntesten und beliebtesten Luzerner der Gegenwart, Emil Steinberger und Alfred Waldis, als Lehrlinge bei Post und Eisenbahn begonnen haben. Dabei lautete ein alter Spottvers: «Wer nichts weiss, und wer nichts kann, Geht zur Post oder Eisenbahn.» Kein zweiter Zeitgenosse hat diesen Spruch mit seinem ganzen Dasein eindrucksvoller widerlegt als Alfred Waldis. 

Dabei hat er, was den freundlichen Kontakt mit den Mitmenschen betrifft, den Bahnschaffner alter Schule nie verleugnet, blieb wie ganz wenige Menschen von hoher Prominenz ein Mann des Volkes. Musste Emil Steinberger als Kabarettist und Humorist gelegentlich bewusst Distanz schaffen zu Menschen, die alleweil etwas Lustiges von ihm erwarteten, genoss es Alfred Waldis in der gegenüber dem Verkehrshaus gelegenen Alterssiedlung Tertianum zusammen mit seiner Frau Lily ein Senior unter Seniorinnen und Senioren zu sein: ein geduldiger Gesprächspartner und Zuhörer für alle. Das Ehepaar Waldis legte keinerlei Wert auf Prominentenstatus.

So erlebte ich es denn auch vor einigen Monaten als Gastreferent im Tertianum zum Thema der Mythologie des Vierwaldstättersees. Dass mir Alfred Waldis die Ehre als vielleicht kompetentester je erlebter Zuhörer gab, kam in der anschliessenden Diskussion zum Vorschein. Das Thema, das den grenzenlos neugierigen Greis über alles interessierte, war der Zusammenhang der Rigi-Mythologie mit dem Bau der Vitznau-Rigibahn durch den Ingenieur-Pionier Nikolaus Riggenbach (1817 - 1899). Den Unterschied des Brems-Systems jener legendären Bahn mit der Zahnstangenbremse im Vergleich etwa zu den Zangen der Fangbremse, wie sie Hotel- und Bergbahnpionier Franz Josef Bucher-Durrer später bei der Stanserhornbahn installiert hatte, kannte kein Sterblicher besser als Alfred Waldis. Es war für ihn aber auch keine Kleinigkeit, was der «Lengwiler-Sepp», Josef Zimmermann, ein Landwirt aus Vitznau, zu erzählen gewusst hatte: dass nämlich dessen Grossvater vor dem Bau der Vitznau-Rigibahn noch bei der Gruobisbalm-Höhle als Bub Bergmännchen beobachtet habe, und zwar etwa um 1842.

Es ging und geht dabei um die ungeheuren Signale des Kulturwandels, welche mit der Erschliessung der Alpen einhergingen. Dabei war für Alfred Waldis, der weit über hundert Bundesräte und Minister aller Länder sowie Astronauten persönlich gekannt hatte, der Eisenbahningenieur Riggenbach mit seiner Werkstatt beim Kilometer Null des Schweizerischen Eisenbahnetzes beim Bahnhof Olten einer der bedeutendsten Menschen, die je gelebt hatten. 

Wenn er von Riggenbach sprach, war es, als ob er bei diesem noch eine Mechanikerlehre gemacht hätte, und zwar eher schon als Adoptivsohn denn nur als Lehrling. Es hat wenige Menschen in der Schweiz gegeben, und schon kaum Historiker, die vergleichbar zu Alfred Waldis Geschichtsbewusstsein zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben.

Darum wurde er auch ein so einmaliger Museumsgründer und Museumsdirektor. Die Künste waren ihm seinerseits nicht fern, und weil er weder Kunstgeschichte studiert noch die Kriterien moderner abstrakter Kunst je erarbeitet hatte, konnte er mit umso grösserer Begeisterung Gastgeber und Förderer des kultursoziologisch wichtigsten Gegenwartskünstlers der Innerschweiz werden. Nämlich von Hans Erni, der schon 1942 Paracelsus gezeichnet, 1947 das Plakat für die Einführung der AHV gestaltet hatte und auch später wie kein zweiter Künstler die politische und geistige Entwicklung der modernen Eidgenossenschaft begleitet hat, unbeschadet von dem, was neunmalkluge Kritiker und Zeichnungslehrer von seiner Kunst halten. 

Für den Geist des Fortschrittes, dem sich der im besten Sinn traditionsbewusste Alfred Waldis verpflichtet fühlte, war die Expo 64 in Lausanne, für deren Konzeptionierung Alfred Waldis eine massgebliche Rolle spielte, repräsentativ. Es war tatsächlich etwas ganz anderes als der bewusst auf heimatliche Selbstbewahrung ausgehende Landi-Geist von 1939, aber auch noch ziemlich das Gegenteil der Wolke der postmodernen Orientierungslosigkeit und des blödelnden Affen-Schweizertums mit Verzicht auf die Schweizerfahne am 1. August 2002. 

Alfred Waldis hatte das Glück, eine Epoche mitzugestalten, welche einen herkömmlichen Schweizer Konservativismus und Isolationismus einerseits loslassen konnte, ohne auch nur einen Augenblick einer oberflächlichen, den Charakter des Besonderen und Einmaligen negierenden Euphorie der Globalisierung zu verfallen. Dazu verhalf ihm der im besten Sinne volksnahe Gemeingeist des Eisenbahners, die wie bei keinem zweiten Innerschweizer gelebte internationale Vernetzung und die im Verkehrshaus besonders betonte nicht nur globale, sondern kosmische Perspektive. «Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir», wie der Urknall-Theoretiker und Philosoph Immanuel Kant (1724 - 1804) es ausgedrückt hat. 

Wer Alfred Waldis persönlich kennenlernen durfte, ist sich bewusst, dass dieser feine Mensch auch ohne Ethik-Unterricht am Gymnasium (zu seiner Zeit war im Matura-Jahr bereits ein gut dotiertes Pensum vorgesehen) ein Mann mit einer vorbildlichen Wertorientierung, ein einmaliger Charakter gewesen ist; noch dazu ein guter lieber Familienvater und Ehemann, eine Eigenschaft, die sogenannt grossen Männern oft schwerer fällt als hohe Verdienste für das Land oder gar für die Menschheit. Die klare Orientierung ging bei Alfred Waldis nie auf das Phrasenhafte, auf irgendwelche Sprüche hinaus, sondern immer auf das Konkrete. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass sein Vater Josef Waldis (1880 - 1953) Steuermann bei der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee gewesen ist.

Alfred Waldis wurde auch ohne akademische Ausbildung ein respektabler Sachbuchautor. Seine Memoiren als Direktor des Verkehrshauses lesen sich nicht nur des Bildteils wegen unterhaltsamer als die Lebensrückblicke von vielen Politikern und Gelehrten. 

«Wes das Herz voll ist, davon geht der Mund über». Die Losung aus der Luther-Bibel bedeutete für Alfred Waldis: nur über Dinge zu schreiben, wovon er konkret, eventuell auch im technischen Zusammenhang, bestens im Bild ist. 

Als Mitinitiant des Nationalen Gotthardmuseums (1982 - 1986) war und wurde Waldis auch einer der besten Gotthard-Spezialisten. Daraus hat sich dann das Buch «Es begann am Gotthard» ergeben, die würdige Eröffnung einer schönen Buchreihe «Kultur in der Zentralschweiz», Comenius-Verlag, herausgegeben von Peter Schulz, 2001 erschienen zu einer Zeit, da sich die «Neue Luzerner Zeitung» auch noch mit Buchproduktionen hervortat. Dieses Projekt endete dann aber bereits 2005 mit dem von mir besorgten Band «Landschaft der Pilger», der abermals dem Gotthard gewidmet war. 

Über den St. Gotthard sind leider immer wieder auch überhöhende Phrasen gemacht worden. Wie weit er wirklich die für die Gründung der Eidgenossenschaft massgebliche Gegebenheit der Verkehrsgeschichte ist, muss offen bleiben. Alfred Waldis hielt im Gegensatz zu Alt-Bundesräten und Bundesräten keine vaterländischen Reden auf dem Gotthard. Er lebte, schrieb und gestaltete – als Museumspädagoge – Verkehrsgeschichte. Mit Alfred Waldis haben wir einen eher leisen, aber einmalig bedeutenden Zeitgenossen verloren. In den Ämtern, die er ausübte, hat er längst Nachfolger gefunden. In der Sicht auf die grossen Zusammenhänge, die er historisch, technisch, menschlich, als einmaliger Erzähler, verstand, bleibt er mutmasslich unersetzlich. 

Pirmin Meier, Rickenbach

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Am 26. Juli (15h) findet im Verkehrshaus eine öffentliche Feier zu Ehren von Dr. h. c. Alfred Waldis statt.


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf