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Kolumne von Pirmin Meier

12.05.2013

Pirmin Meier über Giulio Andreotti, einen christdemokratischen Machiavellisten

Geboren am 14. Januar 1919 in Rom, gestorben in der Ewigen Stadt am 6. Mai 2013, war Giulio Andreotti der wohl am meisten repräsentative und im positiven wie negativen Sinn typische katholisch-bürgerliche Politiker Italiens in der Nachkriegszeit. Er gehörte 33 Regierungen an und war siebenmal Premierminister.


Dazu wurde 28mal vergeblich versucht, seine parlamentarische Immunität wegen Verdächtigungen betreffend Beziehungen zur Mafia aufzuheben, beim 29. Mal gelang es, aber letztlich war es, nicht nur wegen Verjährungen, nicht möglich, ihm etwas wirklich Handfestes, zum Beispiel betreffend die Verdächtigung wegen eines Auftragsmordes, nachzuweisen. Die Dauerskandale um den international (zum Beispiel bei Michael Gorbatschow) hoch angesehenen Andreotti und dessen Parteifreunde sowie das damalige italienische Parteienkartell trugen aber massgeblich zum Bedeutungsverlust der jahrzehntelangen Regierungspartei Democrazia Christiana (DC) bei und ermöglichten indirekt den Aufstieg des später ähnlich von der Justiz gejagten und – je nachdem zu Recht oder zu Unrecht – verdächtigten Silvio Berlusconi.

Giulio Andreotti verdankt seinen Aufstieg dem wohl angesehensten christdemokratischen Politiker seines Landes, dem «italienischen Adenauer« Alcide de Gasperi (1886 – 1954), mit dem er ab 1944 zusammenarbeitete. 

Andreotti wäre indes nicht Andreotti gewesen, wenn er zur Zeit des Faschismus nicht gleichzeitig sowohl für wie auch gegen das System gearbeitet hätte. 

Umso stärker neigte er zum Widerstand, je mehr sich der Untergang Mussolinis als absehbar abzeichnete. Dabei war Andreotti trotz oder auch im Sinne seines sozusagen klassisch italienischen Profils wie längst vor ihm Nicolo Machiavelli keineswegs ein grundsatzloser Politiker. Wegleitend war für ihn, wenn auch gewiss in der «nötigen» Flexibilität, die 1891, 1931 und nach dem Zweiten Weltkrieg bis Papst Johannes XXIII. konsistent ausgestaltete Soziallehre der katholischen Kirche nach den Prinzipien Subsidiarität, Freiheit («im Zweifelsfalle für die Freiheit», in dubiis libertas) und Solidarität. 

Mit der Solidarität hielt er es durchaus immer wieder mal nach den Prinzipien des berühmten und eher zu Unrecht berüchtigten Machiavelli, etwa indem er seinen Gesinnungsgenossen und Parteifreund Aldo Moro, 1977 entführt durch die Terrorgruppe Rote Brigaden, im Sinne der Staatsräson opferte.

Giulio Andreotti war schon 1948 Mitglied der italienischen Verfassungsgebenden Versammlung, wurde ununterbroche ins Parlament gewählt und blieb noch nach jahrzehntelanger Tätigkeit ab 1992 Senator auf Lebenszeit, zuletzt in einer Fraktion von Parteilosen und tapferen Randständigen aus oberitalienischen Grenzgebieten. 

In Bezug auf seine lange politische Karriere wird er häufig als Urheber des Satzes «Die Macht reibt nur den auf, der sie nicht hat», bezeichnet, welche Aussage zu einem brillanten Publizisten, der er auch noch war, durchaus passt.

Der Satz stammt jedoch vom noch berühmteren französischen Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand (1754 – 1838), der es verstanden hat, von Ludwig XVI. über die Revolution bis zu Napoleon und der Restauration nach 1814 bis sogar nach der Juli-Revolution 1830 unter «Bürgerkönig» Louis-Philippe immer im Machtgefüge obenaus zu schwimmen, ja sogar die entsprechenden Ströme massgeblich mitzugestalten.

Ähnliches ist für italienische Verhältnisse Andreotti auch über eine lange Zeit seines Lebens gelungen. Die mehrheitlich positiven Einschätzungen fast aller ausländischen Politiker, die seine enorme diplomatische Erfahrung bewunderten, wie auch das Vertrauen der Päpste, das er so gut wie immer genossen hat, lassen es als nicht ausgeschlossen scheinen, dass er über alles gesehen besser war als er im allgemeinen von der internationalen Schreibzunft eingeschätzt wurde, nämlich nach dem Negativschema des typisch italienischen Machiavellisten.

Ob das Gericht der Geschichte ihn aber ganz im Gegenteil zum «positiven Machiavellisten» stempeln wird, bleibt noch offen und weiteren Forschungen vorbehalten. 

Wie auch immer, er war so etwas wie ein genialer Zentrumspolitiker, und angesichts des Niedergangs christdemokratischer Parteien in Europa bleibt sein Ruf als der eines überdurchschnittlich fähigen Politikers wohl bis auf weiteres erhalten.

Man hat mutmasslich schon schlimmeren Staatsmännern unterstellt, sie seien – trotz allem – in den Himmel gekommen. Insofern die schlimmsten Unterstellungen politischer Gegner nicht als erwiesen gelten können, bleibt dies – die Allwissenheit des göttlichen Ratschlusses vorbehalten – unter dem Blickwinkel der Ewigkeit nicht ausgeschlossen.

Pirmin Meier, Historischer Schriftsteller, Rickenbach 


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Über Pirmin Meier:

Dr. phil. Pirmin Meier (1947), aufgewachsen in Würenlingen AG und wohnhaft in Aesch, langjähriger Gymnasiallehrer in Beromünster, war zunächst als Journalist und Herausgeber von Büchern (unter anderem bei Suhrkamp-Insel) tätig, später mehrere Jahrzehnte als Gymnasiallehrer (Beromünster) und Lehrerfortbildner. 

Seine Biographien über Paracelsus (6. Auflage im Jahr 2013), Bruder Klaus (3. Auflage in Vorbereitung) sowie Heinrich Federer und Micheli du Crest gelten als epochal und wurden unter anderem mit dem Innerschweizer und dem Aargauer Literaturpreis ausgezeichnet. Zu den Themen, die mit der Innerschweiz zu tun haben, gehören bei Pirmin Meier das Buch «Landschaft der Pilger», unter anderem mit der Beschreibung der Schattigen Fasnacht in Erstfeld und einer ersten Studie über den heiligen Gotthard. Ausserdem setzte er sich mit der Biographie von Pater Alberich Zwyssig – von ihm stammt der Text des «Schweizerpsalms», der Schweizer Nationalhymne – auseinander, eingegangen in das Buch über Wettingen «Eduard Spörri, ein alter Meister aus dem Aargau».  

Stark beachtet, mit rund drei Dutzend öffentlicher Lesungen seit dem Erscheinen, etwa in Altdorf und im Bahnhofbuffet Göschenen, wurde die mit grossem Aufwand betriebene Neufassung des berühmten Jugendbuches «Der Schmied von Göschenen», welche Neubearbeitung erstmals die Bedeutung der Walser für die ältere Schweizer Geschichte unterstreicht.  

Pirmin Meier gehörte auch zu den geistigen Promotoren des Films «Arme Seelen» von Edwin Beeler, zu welchem Thema er sich im Sommer 2012 in einer ganzstündigen Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF ausgelassen hat. Er lebt in Rickenbach bei Beromünster, arbeitet derzeit an einem Grossprojekt über Schweizer Mystik und schrieb auch den Text für das Oratorium Vesper von Heiligkreuz mit Musik von Carl Rütti.

Am 7. September 2013 hielt Dr. Pirmin Meier auf der Rigi die Jubiläumsansprache zum Jubiläum 70 Jahre Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverein ISSV. Für sein Buch «St. Gotthard und der Schmied von Göschenen» machte er bedeutende, für die Geschichte der alten Wege einmalige Recherchen über die alten Wege vor 1231, auch zusammen mit dem Historiker Dr. Hans Stadler-Planzer.

In beratender Funktion ist Pirmin Meier tätig für das Filmprojekt «Paracelsus - Ein Landschaftsessay» des in Root (LU) wirkenden Filmunternehmers und Regisseurs Erich Langjahr, wie Pirmin Meier Innerschweizer Kulturpreisträger.

Mehr über Pirmin Meier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Pirmin_Meier

Pirmin Meier erhält Innerschweizer Kulturpreis 2008:
https://kultur.lu.ch/-/media/Kultur/Dokumente/preise_auszeichnungen/meier2008.pdf