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Kolumne von Joël Mayo

12.01.2019

Von Hausbesetzungen und der Lust auf Stadt

Jetzt ist schon wieder etwas passiert. Junge Menschen haben sich über eine Direktive der Stadt hinweggesetzt und haben sich geweigert, ihr alternatives Wohnprojekt im «Eichwäldli» einzustellen.


Der Umstand, dass der Stadtrat diese Weigerung nicht zum Anlass nahm, die betreffenden Personen sogleich mit Polizeigewalt aus der «besetzten» Soldatenstube zu werfen, ist für bürgerliche Kommentatoren Grund genug für einen hysterischen Aufschrei: Es ist davon die Rede, die Stadt habe sich bezüglich Hausbesetzungen erpressbar gemacht, man wünscht sich eine «Strategie der Nulltoleranz», lieber würde man schon gestern als erst morgen strafen. 

Am Ende stellt die Nichtanwendung juristischer Gewalt gegen junge, engagierte Menschen im Weltbild der entsprechenden Personen gar eine Bedrohung des Rechtsstaates dar. Diese seit 2016 bestehende Erzählung von «Kriminellen», die sich widerrechtlich Räume erschliessen und gegen die möglichst hart vorgegangen werden soll, vermag über die tatsächlichen Geschehnisse und ihre Hintergründe wenig auszusagen und verrät doch viel über jene, die glauben sie kundtun zu müssen.

In erster Linie handelt es sich bei solchen Kommentaren auch nur um den Ausdruck des hinlänglich bekannten, stets juristisch verbrämten, unbefriedigten Strafbedürfnisses gegen all jene, die es wagen, den provinziellen Frieden Luzerns zu stören. 

Ein Bedürfnis, das leider seit geraumer Zeit in die DNS bürgerlicher Parteien übergegangen zu sein scheint. Das ist für diese Parteien umso tragischer, als dass dieses Bedürfnis ihre Sicht auf den politischen Kern verschleiert, von dem das «Eichwäldli» ebenso ein Symptom ist, wie es die «Besetzungen» an der Obergrundstrasse oder an der Museggmauer waren: Ein latenter Unmut über den inhaltlichen Charakter der Stadt, der sich unter anderem in besagten Aktionen Bahnen brach.

Es gibt in dieser Stadt auf politischer Ebene eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit bei der Frage danach, wem die Stadt letzten Endes gehört. Ist es der Teil der Landbevölkerung, der die Stadt primär als Konsumzentrum wahrnimmt und möglichst viele Gratisparkplätze in Anspruch nehmen möchte? Das finanzstarke Neopatriziat, welches am liebsten die ganze Stadt zu einer rendite- und gewinnträchtigen Mischung aus Altstadt-Disneyland und Hochpreissegment-Wohnraum umstrukturieren möchte? Oder sind es Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, die ihren Lebensraum auch als solchen verstehen und deshalb aktiv zu einem Ort von Begegnung machen wollen? 

Schon diese drei Anspruchsgruppen zeugen von zwei dominanten Perspektiven auf den städtischen Raum, aus dem sich politische Handlungen ableiten lassen. Die eine Perspektive, die gegenwärtig das Handeln der Parteien SVP, CVP und FDP bestimmt, sieht die Identität Luzerns hauptsächlich in ihrem Charakter als Wirtschaftsraum und Ansammlung eingehegter Privatbereiche begründet. Dass sich damit in der jüngeren Vergangenheit keine Mehrheiten mehr generieren lassen, zeigen einige exemplarische Abstimmungen und Entwicklungen:

- Per 2010 wurde der Mühlenplatz autofrei. Dieser Entscheid ging zurück auf einen Vorstoss des heutigen SP-Stadtpräsidenten Beat Züsli, als er noch dem Stadtparlament angehört hatte.

- 2012 entschied die Bevölkerung, dass die Industriestrasse im Besitz der Stadt und damit der Allgemeinheit verbleibt.

- Im gleichen Jahr lehnte die Bevölkerung nur knapp eine JUSO-Initiative zur Verhinderung des Südzubringers ab. Die vom Südzubringer betroffenen Quartiere hiessen sie jedoch deutlich gut.

- 2013 befürwortete das Stimmvolk eine Umfunktionierung der Bahnhofstrasse zur Flaniermeile, eine Initiative der SP.

- 2014 stellte sich die Bevölkerung hinter eine Initiative der Grünen, die einen Neubau der ZHB mit integriertem Kantonsgericht zu verhindern beabsichtigte. Die Grünen hatten den Abstimmungskampf mit dem Argument geführt, für den beabsichtigten Neubau würden grosse Teile des öffentlichen Parks überbaut. Die «Vögeligärtli-Abstimmung» bildet denn auch eine denkwürdige Zäsur in der Positionierung der CVP. Der Motion ihrer Präsidentin und Kantonsrätin Andrea Gmür folgend übernahm die Partei den Lead gegen die ZHB-Initiative der Grünen. Im Lager von SVP und FDP angekommen, wurde sie für ihre Positionierung mit lediglich 24.34 % Zustimmung abgestraft.

- 2017 schliesslich stimmte die Bevölkerung einer Initiative der JUSO zu, durch welche das gesamte Inseli carfrei und begrünt werden soll. Die Jungpartei am linken Rand des politischen Spektrums hatte mit diesem Anliegen den Nerv der Zeit getroffen und in einem von der Gegnerseite aggressiv geführten Abstimmungskampf einen Sieg errungen – gegen die geschlossenen Reihen der bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbände.

Was diese Ereignisse abseits ihrer Spezifik verbindet, ist die Sichtbarwerdung eines mentalen Trends. Die kontinuierliche Zunahme eines Bewusstseins für die Stadt als sozialem Raum, in dem man sich bewegt, in dem man verweilt und den man gerade in Ermangelung wirtschaftlicher Funktionalität geniesst. Dass praktisch alle politischen Fragen, die auf dieses Bedürfnis abzielen, von der parlamentarischen Linken gestellt wurden, ist ebenso bemerkenswert wie die zunehmende Rechtsorientierung der CVP. Sie eignet sich damit die Lethargie der übrigen bürgerlichen Parteien an und die ihnen eigene Verschleierung des Blicks auf die Tatsache, dass Städterinnen und Städter ihrem Lebensraum auf vielfältige Art und Weise habhaft werden wollen. Das spiegelt sich auch im verbalen Umgang der Bürgerlichen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Soldatenstube im «Eichwäldli» und anderswo. 

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich jemals eine Mehrheit der Luzernerinnen und Luzerner für die Anliegen der Besetzerinnen und Besetzer an der Obergrundstrasse oder der Museggmauer gefunden hätte. Es dürfte auch keine Mehrheit geben, die sich hinter das alternative Wohnprojekt im «Eichwäldli» stellt. Einer solchen Mehrheit bedarf es aber auch nicht. Ihre politische Legitimität erhalten diese Projekte dadurch, dass sie in einem beträchtlichen Teil der betroffenen Quartiere mit ihrem gestaltenden Aktivismus Rückhalt genossen und im Falle des «Eichwäldli» noch immer geniessen. 

An ihnen kondensiert gewissermassen die in breiten Teilen der Bevölkerung vorhandene Lust auf Stadt und partizipativer Urbanität. Wer ihre Methoden nicht gutheisst, tut wenigstens gut daran, die Beweggründe entsprechend der eigenen politischen Couleur zu analysieren und alternative Lösungen vorzuschlagen. 

Aus einer falschen Wahrnehmung, die aus einer Verweigerung genauen Hinsehens resultiert, kann schlussendlich nur schlechte Politik werden. Richtig positioniert hat sich der Stadtrat. Weil sich Regieren eben nicht durch Prinzipienreiterei und das Abarbeiten von Verlaufsschemas definiert, sondern durch das Finden individueller Lösung für individuelle Problemlagen, sind seine Strategie der Eskalationsvermeidung und die eingeleiteten Verhandlungen über einen Nutzungsvertrag vorbildlich.

Joël Mayo, Student PH, Luzern


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Über Joël Mayo:

Joël Mayo (1989) ist gelernter Buchhändler. Zurzeit absolviert er an der Pädagogischen Hochschule die Ausbildung zum Sekundarlehrer. Er war Präsident der JungsozialistInnen des Kantons Luzern und 2015 Spitzenkandidat auf der JUSO-Liste im Wahlkreis Luzern-Stadt für den Kantonsrat.