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Kolumne von Edwin Beeler

09.12.2011

«C’est chez nous comme partout.»

Versuch einer polemischen Feierabendglosse.


Diesen Satz wiederholt unser Nationaldichter Gottfried Keller fast leitmotivisch in seinem Werk, in seinen Briefen oder in seinem Altersroman «Martin Salander». Keller bedauert damit den Verlust der alten Ideale, wie sie zur Gründungszeit der Schweiz gelebt und hochgehalten wurden. Er beklagt, dass sich auch die Schweiz, wie alle Länder, der Logik des modernen Weltwirtschaftssystems unterwirft: «C’est chez nous comme partout.»

Es ist kein Zufall, dass Hans Kissling, der frühere Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, in seinem Buch «Reichtum ohne Leistung – die Feudalisierung der Schweiz» (Zürich/Chur 2008) ebenfalls Keller zitiert. Kisslings These ist, dass sich die Schweiz infolge Konzentration des Vermögens auf einige wenige, superreiche Erben zum Feudalstaat entwickelt. In Zürich beispielsweise besässen 1% gleich viel wie 95% der Steuerpflichtigen. Während die dreihundert Reichsten der Schweiz seit 2000 über 40% reicher geworden seien, sei das Einkommen des grössten Teils der Bevölkerung seit 1990 real gesunken. Deshalb fordert Kissling eine entsprechend ausgestaltete Erbschaftssteuer. (vgl. auch http://www.swissinfo.ch/ger/Home/Archiv/Wird_die_Schweiz_zum_Feudalstaat.html?cid=6892872)

Auch in unserem Heimatkanton ist es wie überall. Vor nicht allzu langer Zeit, Ende 2009, hat die übliche Mehrheit der stimmenden Minderheit der Unternehmenssteuerrevision zugestimmt. Der oberste Schatzmeister sprach vor der Abstimmung: «Der Sinn einer Steuersenkung ist es schliesslich, dass man im Endeffekt mehr Geld einnimmt.» (zit. n.: Die Zeit, 8.9.2011, Seite 18).

Er muss ja der Experte sein, der Finanzfachmann der öffentlichen Hand, er muss – müsste – es ja wissen, hätte es wissen sollen. Mehr Geld würde also eingenommen, wenn an besten Lagen Villenzonen für gutbetuchte Manager ausgeschieden werden, deren Unternehmen mit dieser Steuerreform hätten angelockt werden sollen.

Doch kaum zwei Jahre später müssen die Gemeinden allenthalben die Steuern erhöhen, die Lohnabhängigen müssen den Gürtel wieder einmal enger schnallen. Als Laie frage ich mich, in welchem Wunderland ein realregierender Finanz- und Volkswirtschaftsfachmann lebt, an welcher Überdosis an Reagonomics und thatcherscher Ideologie er sich wohl verschluckt haben mag. Im magistralen Halse stecken geblieben ist wohl tatsächlich der Jahresbeitrag ans MAZ, der exorbitante Betrag von 50 000 Franken ist nämlich gestrichen worden.

Wahrlich ein riesiger Spar-Betrag für unser Schatzamt. Bestraft wird also das Medienausbildungszentrum MAZ, nicht etwa der oberste Beschwörer solcher «Voodoo-Economics» (Die Zeit, a.a.O.). Nein, dieser geht hin und umwirbt einen für seinen herrischen Umgangsstil bekannten Neu-Milliardär, dessen Vermögen auf unbekannte Weise, eventuell vermutlich möglicherweise durch Finanz-Spekulationen, entstanden ist. Er solle doch hier ansässig werden und bleiben, schliesslich schaffe der gnädige Herr ja Arbeitsplätze (mit gigantischen Bauvorhaben in schützenswerten Landschaften am Vierwaldstättersee beispielsweise), man privilegiere ihn dafür mit Sonderlanderechten am regionalen Flugplatz, zudem beglücke man ihn mit einer attraktiv gestalteten Pauschalbesteuerung à la carte, eine Pauschale, die auf einen ehrlichen, steuerzahlenden Mittelständler wie Hohn wirken muss. Seiner Wohngemeinde habe besagter Ehrenmann, so heisst es gerüchteweise, einen finanziellen Zustupf gegeben unter der Bedingung, dass der Steuersatz seiner offiziellen Wohngemeinde gesenkt werde, was untertänigst ausgeführt werden soll oder bereits wurde; ob derart vorauseilender Gehorsam für oder gegen die Unabhängigkeit und Integrität besagter Gemeindeoberen spricht, kann hier nicht erörtert werden, es sei aber auf die aktuellen Pressemeldungen hingewiesen, die samt und sonders nicht vom obrigkeitlich angekündigten Geldregen, sondern von anstehenden Steuersatzerhöhungen etlicher Gemeinden berichten – zulasten der gewöhnlichen Arbeitnehmer selbstverständlich.

Die Presseberichte müsste man einerseits aber noch lesen können bzw. wollen, andererseits muss man aber zerknirscht zugeben, dass die Mehrheit der stimmenden Minderheit es so gewollt hat. Solange diese nichtstimmende Mehrheit in verfetteter Selbstzufriedenheit den vollgestopften Einkaufswagen vor sich herschieben kann und in Ermangelung einer Eigenschaft, die sich mit Intelligenz umschreiben lässt, dumpf vor der glorios-glänzenden Realitätablenkungsglotze hockt, wird sie auch nie auf den Gedanken kommen, die Verfasstheit der eigenen, jährlichen Steuerrechnung könne mit der eigenen staatsbürgerlichen Ignoranz und Denkfaulheit zusammenhängen.

«...daß die Schweizer mehr als je, und so gut wie überall, nach Geld und Gewinn jagen; es ist, als ob sie alle Beschaulichkeit in jenen öffentlichen Festtagen konzentriert hätten, um nachher desto prosaisch ungestörter dem Gewerb und Gewinn und Trödel nachzuhängen.» (Gottfried Keller in einem Brief vom 21. April 1856 an Ludmilla Assing. In: Ermatinger, Emil, 1916/1919: Gottfried Kellers Leben, Briefe und Tagebücher. Auf Grund der Biographie Jakob Baechtolds dargestellt und herausgegeben. 3 Bde. Stuttgart/Berlin, Bd.II, S. 412)

Hinzu kommt die Angstmacherei. Soll die gleichsam gottgewollte Besteuerung der unter- und mittelständischen Einkommen ein kleines bisschen gemildert und entlastend verschoben werden mittels bisher tabuisierter Besteuerung von Kapital- und Spekulationsgewinn, Milliardenerbe und dergleichen, wird der ökonomische Supergau an die Wand gemalt. Sollen die Boni der angeblich so hochqualifizierten, unersetzlichen und volkswirtschaftlich unvergleichlich bedeutenden Manager-Genies besteuert werden, stemmt sich der neugewählte Nationalrat in seiner Mehrheit – die sitzt ja auch samt und sonders in den entsprechenden Verwaltungsräten und kassiert ab – heftig dagegen, denn das würde die Unternehmen treffen, heisst es, womit Vergütungen über drei Milionen Franken auch weiterhin steuerfrei bleiben. Was darunter liegt – im Klartext: die vergleichsweise bescheidenen Einkommen der mittelständischen Lohnabhängigen – wird selbstverständlich und demnächst noch höher besteuert (vgl. www.politik.ch/der-nationalrat-will-keine-bonisteuer.html). Man merke sich also den feinen Unterschied zwischen «Vergütung» und «Einkommen».

Die Managerkaste darf also oben weiterhin abkassieren und unten entlassen, die Abwanderungsdrohungen zeigen Wirkung. Man kann sich ja phantasievoll ausmalen, was passieren würde, wenn die selbsternannten Meister des Universums abhauen würden: leere, dem Verfall und Vandalen preisgegebene Villenzonen; Wollerau-Freienbach zum Slum geworden; Meggen-Kastanienbaum-Niklausen zur umzäunten Festung eines russischen Oligarchen mutiert, streng bewacht von einer privaten Söldnerarmee; die innere Stadt Zug eine Ruine, ein kriminelles, unzugängliches, rechtsfreies Ghetto, wie es heute die einstmals blühende Industriestadt Detroit ist: „FOR SALE“. Die Feudalbesitzerben und  Grosscasinoplayer wären also abgewandert, nach Singapur (dort hat’s exquisite Einkaufszentren, entzückende Resorts, und man spricht business-english), nach Monaco (phantastische Golfplätze! Ein glückspostglänzendes Fürstenhaus!), auf die Kanalinseln (renommierte Internate für den Zögling, Monk Fish à discretion) oder auf die Bahamas (dort wächst der Pfeffer). Sämtliche Butler, Bodyguards, Chauffeure, Yachtinnenraumpfleger, Edelsteinimporteure, Pelzmänteldesigner und Edelholzpolierspezialisten würden arbeitslos, also alle Mittelständischen, und alle anderen Berufsfelder innerhalb der ausgedünnten Realwirtschaft wird es dannzumal eh’ nicht mehr geben...

«Übrigens ist es wundervoll hier und ein ganz goldenes Land; in den Leuten dagegen, wie überall, die leidenschaftlichste Geld- und Gewinnsucht: alles drängt und hängt am Golde. Gott besser’s!“

Gottfried Keller in einem Brief vom 6. März 1856 an Lina Duncker (in: Ermatinger, Emil, 1916/1919: Gottfried Kellers Leben, Briefe und Tagebücher. Auf Grund der Biographie Jakob Baechtolds dargestellt und herausgegeben. 3 Bde. Stuttgart/Berlin, Bd.II, S. 405).

Die Bonisteuer ist also chancenlos. Auch das Projekt einer Erbschaftssteuer dürfte sang- und klanglos untergehen, mit gigantischen finanziellen Mitteln dürfte es bekämpft werden wie seinerzeit die Kapitalgewinnsteuer oder die Steuergerechtigkeitsinitiative, mit Mitteln unbekannt-dubioser Herkunft ähnlich jenen, über die gewisse Parteien verfügen, um damit vornehmlich gegen junge Arbeitslose, Invalide, Rentner oder Sozialhilfebezüger zu hetzen.

Die Streichung der gigantischen Summe von 50'000 Franken ans MAZ ist bezeichnend in Zeiten gesunkener Chancengleichheit; Hochschul- und Weiterbildung bleibt zunehmend, wie in der guten alten Zeit, nur Herrenbubis zugänglich. Egal, wenn jemand leistungswillig und bildungstauglich ist – der Weg an eine entsprechende, höhere Schule wird in Ermangelung der nötigen Mittel zunehmend verbaut. Bildungsressourcen werden so verschleudert, denn «Personen mit einer Aussicht auf ein grosse Erbe» setzen ihre meist «überdurchschnittliche Bildung» oft «nicht marktgerecht ein» (Kissling, Seite 56).

So werden wir als Lohnbezüger allenthalben also mehr Steuern bezahlen, das «Volk» bzw. die Mehrheit der stimmenden Minderheit will es so (und wer möchte so undemokratisch sein und dagegen aufbegehren wie weiland Don Quichotte gegen die übermächtigen Windmühlen?)! Gleichzeitig sind die Grossvermögen entlastet worden; Spekulationsgewinne werden vom Fiskus nicht belangt. Oben: Permanent-Party in St. Moritz. Unten: Gürtel noch enger schnallen, Schlange stehen vor Suppenküche, Arbeits- und Sozialamt. Also werden Krankenkassenprämien und ÖV-Fahrpreise weiter ansteigen. Unsere Kinder werden in immer grössere Schulklassen gepfercht. Studiengebühren werden laufend teurer. Die Infrastruktur kann kaum mehr instandgehalten werden. Neuinvestitionen liegen nicht mehr drin... undsoweiter.

Natürlich bin ich kein Fachmann, ich verstehe von all’ dem rein gar nichts, ich bin bloss ein Laie, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt: ein Steuerpflichtiger, angewiesen auf ein funktionierendes Bildungswesen, Infrastruktur, Kulturinstitutionen, Sozialleistungen, öffentliche Verkehrsmittel, Sicherheit und ein intaktes, bezahlbares Gesundheitswesen. Vielleicht werden die Kosten für solche Dinge künftig von einer Handvoll gnädiger, hochwohllöblicher Grossmilliardäre in freiwilligem Mäzenatentum übernommen. Wenn es soweit ist, müsste das Stimm-Volk auch entsprechend konsequent sein und sich freiwillig der neofeudalistischen Leibeigenschaft unterwerfen...

«Es wird eine Zeit kommen, wo in unserem Lande, wie anderwärts, sich grosse Massen Geldes zusammenhängen, ohne auf tüchtige Weise erarbeitet und erspart worden zu sein; dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch.» (Gottfried Keller, „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“, zit. n. Kissling, a.a.O., Seite 61)

Diese Zeit ist gekommen.


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Über Edwin Beeler:

Edwin Beeler (* 1958) schloss sein Studium in Allgemeiner Geschichte und Geschichte der Deutschen Literatur an der Universität Zürich mit dem Lizentiat ab. Seit rund 25 Jahren arbeitet er hauptsächlich als Filmemacher. 

1988 gründete er zusammen mit Marlon Heinrich und Guido Paul Denzler die Filmproduktionsfirma Calypso Film AG, welche unter anderem seine Kino-Dokumentarfilme produziert: «Arme Seelen» (2011), «Gramper und Bosse - Bahngeschichten» (2005), «Grenzgänge - Eine filmische Recherche zum Sonderbundskrieg 1847» (1998, realisiert zusammen mit Louis Naef), «Bruder Klaus» (1991), «Rothenthurm - Bei uns regiert noch das Volk» (1984). 

Die Stadt Luzern hat ihn 1992 mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet. Beeler arbeitet im Vorstand des Vereins Film Zentralschweiz mit. Er ist Vater von zwei Töchtern und lebt zusammen mit seiner Partnerin in Luzern.

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