Kultur hat, wer pflegt
Kultur entstehe, so sagt das Lexikon, durch Veränderung der Natur mittels Werkzeugen. Frühe Menschen, welche die Natur pflegten, also mit Ackerbau begannen, hatten Kultur. Heute meint Kultur nicht nur Natur-Pflege, sondern Pflege ganz allgemein. Kultur hat, wer pflegt.
Pflegen? Kein zeitgemässer Begriff. Etwas für Weicheier, Krankenpfleger, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter oder Volksschullehrer. Wer von den Erfolgreichen hat schon Zeit, zu pflegen? Seine Wohnung, zum Beispiel. Dafür gibt es Raumpflegerinnen und Designer. Pflege lässt sich delegieren. Kultur auch. An Theater und Discos, an Museen und Galerien, an Künstler und andere nicht pflegeleichte Menschen. Denn «pflegeleicht» bedeutet «kulturlos».
Wie wäre es, wenn wir das Pflegen wieder selber an die Hand nähmen, wenn wir unsere Zimmer selber pflegten, unsere Gärtli nicht dem Gärtner überliessen, unser Kochen nicht an Vorfabrikanten delegierten und pflegebedürftige Menschen nicht allzu rasch in Institutionen vereinsamen liessen – wenn wir Kultur hätten? Ja schon, nur: Wer hat schon Zeit für Pflege? Wer hat schon Zeit für Kultur?
So, wie man Pflege kaufen kann, kann man Kultur kaufen, in grossartigen Konserven bekommt man sie, auf CDs und DVDs bekommt man sie. Und dann hat man sie. Im Gestell steht sie, die Kultur, im Altersheim lebt sie, die unbesuchte Menschheit.
Wenn Pflege für mich nur noch Mühsal bedeutet, die ich delegieren will und kann, dann gilt das auch für unsere Gesellschaft, einer Gesellschaft, die sich zum Beispiel in der Politik manifestiert. Als Gemeinde, als Staat. Wenn ich mich vor dem Pflegen drücke, dann soll das auch der Staat tun, wir sind doch keine Weicheier… siehe oben.
Dumm ist bloss, dass dieser Staat die Pflege an uns, an mich zurück delegiert. Ich habe sie doch soeben an den Staat delegiert. Und jetzt soll ich plötzlich die Strasse vor meinem Haus putzen, weil die Gemeinde die Strassenreinigung etwas reduziert hat. Und dass ich im Winter auf meinen Arsch falle, weil die Gemeinde Salz spart, sälber tschuld. Denn nur die wichtigsten Strassen, also die Autobahnen, können und wollen wintersicher gemacht werden. Und dass es im Sommer manchmal von altem Fisch und anderem Abfall stinkt, ist in Kauf zu nehmen, denn wer kann der Gemeinde schon verargen, dass sie den Güsel nur noch einmal pro Woche entsorgt.
Der Staat hat doch viel Wichtigeres zu pflegen, etwa die Schulen oder die Heime oder die Spitäler, aber diese werden weniger gepflegt, eher bespart.
Und auch die Zahl der WC-Anlagen in einer Stadt kann man reduzieren, das ist doch zumutbar. Wer muss, soll daheim oder in einer Beiz, wir brauchen pflegeleichte Bürger, keine Scheisskerle. Die laufen zwar umher, aber dafür gibt es nächtliche Schulhöfe, dort kann jeder ungeniert. Solches ist für die Gemeinde pflegeleicht…
Was soll die ständige Pflegerei? Die schlanke Gemeinde soll ruhig sparen, etwas weniger reinigen, etwas weniger unterstützen. Zum Beispiel: Kinder mit Problemen unterstützen? Wegen Problemen notabene, die ihnen andere gemacht haben, Eltern etwa, die ihrerseits keine Zeit für Erziehung und Pflege haben, warum sollten sie auch? Ein Einkommen reicht doch schon lange nicht mehr, beide Eltern müssen Lohn verdienen. Und wenn sie schon mehr verdienen, können sie auch etwas mehr für ihre Zöglinge im Kleinkindergarten zahlen, zumutbar.
Die Studiengebühren zu erhöhen, ist ebenfalls zumutbar. Auch später müssen Eltern für die Pflege der Begabung ihrer Kinder, etwa in Musik, etwas mehr zahlen, das heisst präzis: viel mehr zahlen – zumutbar. Pflege ist sowieso etwas für Weicheier und wer schon Kinder will, soll auch dafür bezahlen, sie sind schliesslich eine Belastung für den Staat und weshalb, frage ich, weshalb sollen Kinderlose dafür zahlen, dass andere ohne Kinder nicht leben können.
Das Wichtigste sei nicht vergessen: Die Reduktion der Pflege spart Steuern - denn die rechte Lehre sagt, je schlanker, umso gesunder sei der Staat.
Darum sollte es doch dem letzten nach Pflege seufzenden, verirrten Menschen klar sein: Pflege oder Kultur, das ist etwas für Gestrige. Mit einer pflegeleichten Gesellschaft ist sie wenig verträglich bis nahezu unvereinbar. Ausgenommen, Kultur sei konsumierbar und führe damit zur Erhöhung des Bruttoinlandprodukts. In diesem Sinn muss Kultur unbedingt neu definiert werden: Sie ist akzeptabel als Beitrag zur Erhöhung jenes eben genannten Produkts. Oder sie ist nicht.
Wahlen stehen bevor. Sie können mit Ihrer Stimme entscheiden, ob die Gemeinde so altmodisch sein soll, sich und ihre Menschen zu pflegen? Hoch lebe die pflegeleichte Gemeinde!
Armin Beeler, Luzern
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