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Die Redaktion empfiehlt

10.08.2012

Was Moritz Arnet zum Tod von Walter Gut sagte

Am Dienstag (7. August 2012) hat in der Pfarrkirche Hildisrieden der Trauergottesdienst für Walter Gut stattgefunden. Er war von 1971 bis 1987 CVP-Regierungsrat und Erziehungsdirektor. An der Trauerfeier sprach Moritz Arnet, der Walter Guts Departementssekretär und später Sekretär der Schweizerischen Erziehungsdirektoren-Konferenz war. lu-wahlen.ch bedankt sich bei Moritz Arnet für das Manuskript seiner Trauerrede.


Es sind fünf oder sechs Jahre her, dass mir Walter Gut mit unverhohlener Freude das «Schultheissenbänkli» zeigte, das ihm der Bauer im Hildisrieder «Schopfen» bereit gestellt hatte. Wenn seine Kräfte nicht mehr für einen längeren Spaziergang reichten, durfte er sich dort vor dem Bauernhaus ausruhen. Es war nicht mehr der Sessel des zweimaligen Schultheissen des Standes Luzern und auch nicht mehr der Stuhl des sechzehn Jahre lang amtierenden kantonalen Bildungsdirektors; aber der müde Wanderer war noch derselbe Humanist und Magistrat wie seinerzeit; und das einfache Bänklein im «Schopfen» kam so zu einer – wenn auch nur symbolischen – Würde.

Als Dr. Walter Gut im Jahre 1971 zur Kandidatenkür der kantonalen CVP antrat (sie hiess damals einfach «Volkspartei»), hatte er sich schon längst einen guten Namen als Jurist und Staatsanwalt, als Chefredaktor der CIVITAS und vor allem auch als eine Art Chefideologe der Partei gemacht. 

Es war wohl dieses Prestige des grundsatztreuen, intellektuell herausragenden und leistungswilligen Humanisten, das die 580 in Oberkirch versammelten Delegierten bewog, ihn zu einem ihrer neuen Kandidaten zu erküren. Das war ja mindestens insofern nicht selbstverständlich, als Walter Gut bisher noch nie ein Führungsamt belegt hatte und auch nicht im Grossen Rat vertreten war. 

Die anschliessende Volkswahl war dann kein Problem; die Luzerner CVP befand sich zu jener Zeit in Hochkonjunktur. (Der zweite Neue im Regierungsrat – neben den bisherigen Dr. Carl Mugglin und Dr. Felix Wili – war übrigens der Rooter Tierarzt Dr. Karl Kennel. Der robuste und populäre Kennel mit dem Studentennamen «Schroff» bildete nun mit Walter Gut, dessen Vulgo «Bös» eher ein fantasieloser Scherz war, während der kommenden 16 Jahre im Regierungsrat ein ziemlich kontrastierendes Duo.)

Walter Gut übernahm sein Wunschdepartement, die Erziehungsdirektion samt ihren Nebenfunktionen; ich nenne hier nur den Vorsitz im Erziehungsrat, die Leitung des Technikumsrats, das Präsidium der Innerschweizerischen Kulturstiftung und die Mitgliedschaften im Vorstand der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz und in den damals sehr regen Innerschweizer und Nordwestschweizer Regionalkonferenzen und bald auch die Mitwirkung in der Schweizerischen Hochschulkonferenz und im Wissenschaftsrat. Ich war eben noch in Oberkirch als ziemlich junger Schnösel einer seiner Mitkandidaten gewesen und durfte ihn nun, als schon ziemlich erfahrener Departementssekretär, ins neue Amt einführen.

Der Auf- und Ausbau des Luzerner Bildungswesens und auch der eben beginnenden Kulturförderung verlangte vollen Einsatz. Ich erinnere hier nur daran, dass gleichzeitig mit dem Eintritt der grössten Geburtenjahrgänge ins schulpflichtige Alter der Ausbau der öffentlichen Kindergärten, die Einführung des obligatorischen 9. Schuljahres und eine gründliche Neukonzeption der gesamten Volksschuloberstufe zu bewältigen waren. Parallel dazu erfolgte der Neubau oder die Sanierung der Sonderschulheime. Dies alles konnte nicht ohne entsprechende Rekrutierung und Ausbildung der Lehrkräfte erfolgen; Walter Gut war zutiefst überzeugt, dass gute Schule in allererster Linie auf gute Lehrkräfte angewiesen ist. Dem recht autoritätsbewussten Erziehungsdirektor fiel es nicht leicht, die nach «68» anrollende antiautoritäre Welle in der Luzerner Lehrerbildung zu steuern oder doch zu kanalisieren. Und auf der Sekundarstufe II galt es, die Berufsbildung sowie die Mittelschulen zeitgemäss auszubauen. 

Walter Gut hatte noch in den sechziger Jahren kräftig die Glocken für ein Vollgymnasium in Willisau geläutet; er musste nun zur Kenntnis nehmen, dass es weder sinnvoll noch finanziell tragbar war, alle regionalen Ausbauwünsche gleichzeitig zu befriedigen. – Es wäre aus dieser Zeit noch einiges zu melden. Alles in allem ist aber unbestreitbar, dass Walter Gut in seinen vier Amtsperioden dem Luzerner Bildungswesen, der Kulturpflege sowie der interkantonalen Bildungskoordination einen ausgezeichneten und nachhaltigen Dienst erwiesen hat.

Hier dürfen natürlich auch seine grossen Verdienste bei der Universitätsgründung nicht verschwiegen werden, auch wenn ihm der grosse Erfolg verwehrt blieb. Er war schon 1962 dabei, als die Konservativen, nach der auslösenden Motion von Felix Wili, eine eigene Studienkommission ins Leben riefen. 

Die bisherigen Geschichtsschreiber zur Universitätsplanung haben diese Vorphase nicht zur Kenntnis genommen, wahrscheinlich deshalb, weil diese parteiinterne Kommission nach einem Jahr guter Arbeit von der offiziellen regierungsrätlichen Arbeitsgruppe abgelöst wurde – und weil man nicht den Eindruck erwecken mochte, es werde ein parteipolitisches Süppchen gekocht. Selbstverständlich war Walter Gut nun auch in der offiziellen Kommission dabei. Und dem neuen Bildungsdirektor wurde dann die Uni-Sache zur Herzens-, aber auch zur Schmerzensangelegenheit. 

Die Ablehnung in der Volksabstimmung von 1978 traf ihn umso mehr, als ein Teil der Gegnerschaft ihm – in einer dummen Art verspäteten Kulturkampfs - unterstellte, mit der Uni Luzern ein intellektuelles katholisch-konservatives Bollwerk schaffen zu wollen. 

Als guter Demokrat, der er eben auch war, nahm er die bittere Pille entgegen und versuchte, die dringendsten offenen Fragen, wie etwa die Oberstufenlehrerausbildung, anderweitig anzugehen. Eine weitere Sorge galt der Theologischen Fakultät, die ja in die geplante Uni hätte eingebettet werden sollen. 

Es war dann ein Stück Ironie der Geschichte, dass ihn die Schweiz. Erziehungsdirektorenkonferenz und die Hochschulkonferenz zum Präsidenten der Kommission ernannten, die die interkantonalen Beiträge für den Hochschulbesuch zu bearbeiten hatte. Die entsprechenden Interkantonalen Abkommen ab Beginn der achtziger Jahre brachten eine der ganz wesentlichen Grundlagen, auf denen die Luzerner Uni-Gründung im Jahr 2000 aufbauen konnte. Die Luzerner Uni hat mehrere Väter und Mütter; Walter Gut gehört zu ihren Patriarchen.

Ein Journalist, der ihn während seiner Amtszeit interviewte, hielt mit einigem Erstaunen fest, dass der Erziehungsdirektor zwar auf konkrete Fragen eingehe, aber sie doch immer wieder ins Allgemeine und Grundsätzliche vertiefe. Das war sein Markenzeichen, sowohl für seine Person wie für sein Werk. Er war in seinem Innersten weder Pragmatiker noch Taktierer und wollte stets tiefer graben. Alles, was er tat und schrieb, schöpfte er aus einem tiefen religiösen, kirchlich geprägten Glauben und aus einem schon an den Gymnasien von Immensee und Engelberg erworbenen Humanismus. Dazu gesellte sich eine grundsätzlich ernste Lebensauffassung, die es ihm erschwerte, auch einmal aus sich herauszugehen und «ausgelassen» zu sein. Walter konnte sich froh und zufrieden zeigen, aber fröhlich, im landläufigen Sinn, war er nie. Es dominierten stets das Pflichtbewusstsein und die Überzeugung, eine Sendung zu haben; das war kein Getue, sondern sein Habitus.

Aus dieser Haltung heraus entstand auch sein reiches schriftstellerisches Werk. Er sah sich stets in der Doppelrolle des Handelnden und des Schreibenden. Auf die langjährige Redaktions- und Leitartikelarbeit für die StVer Zeitschrift CIVITAS haben wir schon hingewiesen. Er versäumte dann aber auch nicht, seine Regierungstätigkeit mit grundsätzlichen Studien und Essays zu begleiten; das alte «Vaterland» und mehr noch die «NZZ» boten ihm dafür die Bühne. Und in allen Interviews zum Abschied aus dem Regierungsrat taucht seine Freude auf, sich endlich wieder mehr dem Schreiben und der Publizistik widmen zu können.

Eine Frucht davon waren die drei gewichtigen Sammelbände, die um 1990 erschienen und alte und neue Aufsätze und Reden zu den grossen Themen Recht, Staat und Kirche zusammenfassten. Einen ersten Sammelband hatten die Mitglieder des Erziehungsrates und die Chefbeamten des Departements zu seinem Abschied herausgegeben. Alle Publikationen von Walter Gut zeigen ihn einmal als Meister einer gepflegten und immer sehr «bedachten» Sprache, aber vor allem als Mahner und Aufrufer, bewährte Werte zu wahren und, bei Bedarf, neu durchzudenken. Es überrascht nicht, hier auch sehr gelungene Porträts von Erasmus von Rotterdam, von Thomas Morus und von Niklaus von Flüe zu finden. Die Porträtierten gehören zu seinen Lebensvorbildern; man müsste auch den römischen Staatsmann und Schriftsteller Cicero sowie «unseren» Luzerner Philipp Anton von Segesser dazu zählen. Walter Gut unterstützte übrigens mit persönlichem Einsatz die gewichtige Edition der Briefe Segessers, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Victor Conzemius erfolgte.

Der auch in kirchlichen Dingen grundsätzlich Konservative, der zum Beispiel die kantonale Kirchenverfassung bekämpfte – weil sie eben nach kirchlicher Auffassung gerade nicht «Kirche» sei – wagte auch, die Kirchenhierarchie in Fragen der Rechtskultur zur Ordnung zu rufen; der Fall von Bischof Haas bot dafür nur einen von mehreren Anlässen. 

Eine grundsätzlichere Kirchenkritik, wie sie etwa sein eminenter Cousin Hans Küng pflegte und pflegt, war allerdings gar nicht seine Sache; er unterstützte Küngs Weltethos-Projekt; sein Vor-Verständnis von Amt und Tradition, so scheint es mir, hat ihm aber den Zugang zu Küngs Anliegen von Anfang an verwehrt. Er zog – wenn wir es etwas einfach sagen wollen – die Spiritualität des grossen Hans Urs von Balthasar dem Rationalismus des grossen Hans Küng vor.

Walter Gut hätte gewiss noch mehr publiziert, hätte er sich nach seiner Regierungstätigkeit ganz auf die Rolle als Staats- und Kirchendenker konzentrieren können. Er wurde auch noch anderswo gebraucht und liess sich dazu rufen. Wir nennen hier einmal das bedeutsame Amt des Präsidenten des grossen Verbands SKAV, des Schweizerischen Katholischen Anstaltenverbands. Die Aufgabe forderte ihn; er bewältigte sie unter gütiger Mithilfe des dienstbereiten und organisatorisch begabten ehemaligen Kantonalschulinspektors Gottfried Schaffhuser. Die zweite Aufgabe führte ihn zu nationalem Bekanntheitsgrad. Walter Gut war zur Stelle, als der Bundesrat im Jahre 1990 in der unseligen Affäre der Staatsschutzakten einen Delegierten mit Prestige und Berufserfahrung suchte. Die schwierige und intensive Arbeit, die er als sogenannter «Fichendelegierter» besorgte, machte ihm zwar, wie er selber gestand, wenig Freude; sie war ihm staatsbürgerliche Pflicht, und sie gab dem noch rüstigen Pensionär aus Hildisrieden die Genugtuung, noch gebraucht zu werden.

Um das Bild von Walter Gut abzurunden, braucht es auch noch ein kurzes Wort zur Familie und zum Wohnort Hildisrieden. Walter blieb – wie sein Vorbild Thomas Morus – lange Junggeselle. Im Jahre 1974 fand er dann aber in der verwitweten Greth Fässler-Zust seine Ehefrau; sie wurde ihm nicht nur zur Partnerin fürs Leben, sondern bot ihm auch alles, was Liebe und Häuslichkeit bringen kann. Greth brachte auch ihre zwei Kinder in die Ehe ein, und Walter erhielt so eine Familie. Wenige Jahre nach der Heirat kam es zum Umzug von Luzern in das sonnenverwöhnte Hildisrieden. Das neue Haus, von dem Walter viel schwärmte, wurde nach dem Vorbild von Ciceros Landsitz «Tusculanum» getauft. Und wenn ich das richtig sehe, so wurde Walter hier in der ehelichen und häuslichen Geborgenheit erstmals zu einem entspannteren glücklichen Menschen.

Wir wissen, dass es ihm in den letzten Lebensjahren nicht mehr gut ging. Das «Schultheissenbänkli» im Schopfen (er hätte es nie «Regierungspräsidentenbänkli» getauft) wurde zum äusseren Zeichen für seine schwindenden Kräfte. Noch konnte er sich und seine Besucher damit trösten, dass er noch lesen könne; das Lesen, vorab von Biographien, blieb ihm Lebenselixier. Zunehmende Schwäche und Schmerzen zwangen dann doch ins Pflegeheim.

Der Kanton Luzern hat mit seinem Tod einen bedeutenden Magistraten verloren. Wir alle vermissen einen tiefsinnigen Menschen ganz eigener Prägung und viele von uns betrauern auch einen treuen persönlichen Freund.

Er ruhe im Frieden Gottes, auf den er gebaut hat.